Kritik: Before Midnight (USA 2013)

Autor: Conrad Mildner

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“But sometimes, I don’t know? I feel like you’re breathing helium and I’m breathing oxygen.”

Richard Linklater ist einer der wenigen langjährig erfolgreichen, amerikanischen Indie-Regisseure, denen es gelungen ist stets konsequent dem Feuilleton-Radar zu entgehen. Seine Person hat nie einen Kult hervorgebracht wie bei Kollege Terrence Malick und sein Werk wurde auch nie zum Kanon erklärt. Seine Handschrift ist undeutlich. Ein Autorenfilmer war er schon immer. Linklaters beliebte „Before“-Reihe kann sogar als eines der wenigen Franchises des Arthouse-Kinos angesehen werden, denn inwieweit „Before Midnight“ als Abschluss einer Trilogie verstanden werden kann, wird auch mit dem Ende des Films nicht ganz klar. Alle „Before“-Filme verzichten auf ein geschlossenes Ende.

Angefangen hatte alles 1995 mit einem jungenhaften Ethan Hawke und einer zarten Julie Delpy in einem Zug nach Wien. „Before Sunrise“ war ein großer Erfolg und einer der wenigen romantischen Filme der „Generation X“ der 90er Jahre, die Linklater zuvor bereits mit „Rumtreiber“ und „Dazed and Confused“ von ihrer rauen Seite porträtiert hatte. In gewisser Hinsicht war „Before Sunrise“ ein konservatives Versprechen einer verwirrten Jugend, die sich im Wiener Ambiente und mithilfe geistreicher Dialoge für ihre Ziellosigkeit entschuldigte, ein Slacker-Film im Geiste eines Hollywood-Schinkens. Nach ein paar äußerst vielseitigen und interessanten Filmen wie „Waking Life“ oder „School of Rock“ kam 2004 mit „Before Sunset“ die erste Fortsetzung ins Kino. Celine und Jesse waren in Echtzeit gealtert. Ihre Leben waren dementsprechend an unterschiedlichen Punkten angekommen. Die „Generation X“ war vorüber. Gerade im klischierten Ambiente von Paris als „Stadt der Liebe“ gelang Linklater eine Steigerung der Reihe, da der romantische Kennen-Lern-Quatsch einem nachdenklichen Rundumblick gewichen war. Jesse und Celine waren irgendwie unglücklich im Leben angekommen und resümierten ihre Beziehung. Umso konsequenter endete „Before Sunset“ in der Wohnung Celines mit der offenen Frage, ob Jesse seinen Flieger verpassen wird oder nicht.

Es ist 2013. Wieder sind fast zehn Jahre vergangen und wir erfahren, nachdem Jesse seinen Sohn aus erster Ehe zum Flughafen gebracht hat, dass er damals wohl doch seinen Flieger verpasst hat und bei Celine geblieben ist. Fast zehn Jahre feste Beziehung, fast zehn Jahre Ehe, was ist aus dem einst schwerelosen Paar geworden? Linklater ersetzt die romantisch-urbanen Schauplätze der Vorgänger durch ein ländliches Griechenland im Hochsommer. Aus der Studienfahrt sowie der Geschäftsreise wird nun der alljährliche Familienurlaub und in der flirrenden Hitze des krisengebeutelten, europäischen Landes scheint es unausweichlich, dass die Beziehung von Jesse und Celine ebenso einige Kratzern abbekommt.

Bereits die gemeinsame Autofahrt vom Flughafen zurück zum Ferienhaus, Celine und Jesse sitzen vorne, ihre beiden Töchter hinten, inszeniert Linklater auf seine typisch schauspielzentrierte Weise in einer einzigen festen Einstellung. Die halb-improviserten Dialoge, die sich gerne und oftmals überschneiden, kommen völlig verlustfrei beim Publikum an. Es ist ein fast bühnenhafter, eher unfilmischer Blick, aber die Statik und die scheinbare Endlosigkeit der Autofahrt, entwickeln zunehmend einen enormen Sog. Im Laufe des Films pendelt sich Linklaters Montage auf übliche Schuss-Gegenschuss-Muster ein, wie er sie schon bei den Vorgängern überwiegend nutzte.

Sobald das Paar mit den Kindern wieder am Urlaubsort angekommen ist, entfaltet sich ein Reigen unterschiedlicher Dialogkombinationen, in denen Linklater das monogame Beziehungskonstrukt unter die Lupe nimmt. Jesse und Celine begegnen anderen Paaren unterschiedlichen Alters, unterschiedlichster Generationen. Der zunehmende Postkarten-Kitsch der Kamerabilder erzeugt Parallelen zum Musical-Dünnpfiff „Mamma Mia“, auch ein Film, der sich völlig seinem heteronormativen Gesellschaftsbild verpflichtet fühlt. „Before Midnight“ setzt dazu aber noch die seriöse Miene auf. Zwar versucht der Film wenigstens weiterhin die Gender-Probleme seiner Protagonisten zu beleuchten, im Spiegelbild der anderen Paare wird daraus aber eine eher unglaubwürdige Chose, wo Mann doch noch Mann und Frau noch Frau sein darf.

Zum Glück anonymisiert sich die Kulisse zum Schluss nochmal und lässt Luft zum Atmen. Wenn Jesse und Celine, abseits ihrer Kinder, eine romantische Nacht in einem Hotelzimmer verbringen wollen, setzt Linklater zum großen Finale an. Natürlich schaffen es die beiden gar nicht erst zwischen die Laken, so wie sie es noch nie in einem der Filme geschafft haben, sondern lassen den angestauten Gefühlen in der neutralen Atmosphäre verpackter Seifenstücke und frischer Handtücher freien Lauf. Der spektakuläre Beziehungszoff des einstigen Traumpaares hat fast eine kathartische Wirkung, da einem die Unbekümmertheit der Beiden doch schon immer ein wenig suspekt vorkam. Zwar wartet der Streit mit keinen neuen Erkenntnissen über Menschen in der Beziehungs-Midlife-Crisis auf, aber wenigstens können Delpy und Hawke zeigen, was für tolle Schauspieler sie sind. Es fliegen dermaßen die Fetzen, dass es eine reine Freude ist. Man darf aufatmen. Auch verträumte Hipster-Paare streiten, wenn sie älter und uncooler geworden sind.

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