Kritik: Under The Silver Lake (USA 2018)

I saw you spying on me, earlier.

Der französische Medienphilosoph Jean Baudrillard sah Amerika, also die USA, nicht als Land, sondern als Modell an. Als ein Mekka von Zeichen ohne Referenzen, die nur auf sich gegenseitig verweisen. Die Wirklichkeit verschwindet hinter diesen Zeichennetzen. In Under The Silver Lake, dem neuen Film von It Follows-Regisseur David Robert Mitchell, droht Sam (Andrew Garfield) in diesen Netzen aus Zeichen zu verschwinden; anfangs noch ganz ins Slacker-Dasein vertieft, ohne Job, aber mit Auto und Apartment, wobei die Miete schon lange überfällig ist. Zwischendurch beiläufiger Sex mit einer befreundeten Schauspielerin (Riki Lindhome) und das Bespannen der barbusigen, MILFigen Nachbarin, aber sonst scheint Sam nicht viel zu tun zuhaben. Bis die schöne Sarah (Riley Keough) nebenan mit ihrem Hund einzieht. Zurzeit treibt sich in der Gegend um den Silver Lake ein Hundemörder rum. Wirklich seltsam wird es aber als Sarah urplötzlich verschwindet. Sam vermutet eine große Verschwörung, sucht nach Codes und Hinweisen in Songtexten und Cornflakes-Packungen, während ihm sein eigenes Leben Schritt für Schritt entgleitet.

Schon mal vorweg: Under The Silver Lake ist ein lauter, vollgestopfter Film; nicht so zart-melancholisch wie noch Mitchells Erstling The Myth of The American Sleepover und auch nicht so deliziös-paranoid und spannend wie It Follows. Dieser Film quillt über mit Verweisen, Figuren, Kamerabewegungen, Filmmusik wie aus Max Steiners Zeiten und viel nackter Haut. Es ist ein Film, den man sehr gerne lieben will, doch leicht ist es nicht. Denn zum einen knallt er uns einen sehr unangenehmen Helden vor den Latz und andererseits ist Sams Schnitzeljagd durch L.A. stellenweise auch einfach dröge und diffus, was bei über zwei Stunden Laufzeit nicht verwunderlich ist. Dennoch, empfehlen würde ich Under The Silver Lake jederzeit. Es ist ein amerikanischer Autorenfilm wie es ihn nur alle paar Jährchen gibt, weil er gekonnt mit dem Vertrauten des US-Kinos operiert, es laufend bricht und umkrempelt.

Da wäre die Figur des Slackers, des Rumtreibers, vornehmlich weiß, männlich und heterosexuell, ursprünglich Produkt der Generation X, die sich dem Leistungsdruck des neoliberalen American Dreams entzieht. Klingt nach einer romantischen, gar rebellischen Figur, ist aber hauptsächlich Ausdruck ungerecht verteilter Privilegien. Denn Sam und Slacker-Konsorten können faul sein, weil sie es sich leisten können. Sams drohende Obdachlosigkeit, der Verlust seines Autos, dieser gut aussehende, junge Mann wird sich da schon rauswinden. Er selbst beschäftigt sich eh lieber den ganzen Film über mit dem Rätsel um Sarahs Verschwinden. Auf der anderen Seite, scheint er auch kein heillos verliebter Romeo auf der Suche nach seiner Angebeteten zu sein. Er ist eher ein Spanner, masturbiert zu Werbebildchen, verprügelt Kinder und kann noch weitaus brutaler sein. Zudem zeigt er kein wirkliches Interesse an den Menschen um ihn herum. Er lässt sich allenfalls von Oberflächen und Zeichen der Popkultur und der Werbung gefangen nehmen. Sein Hipsterkumpel, gespielt von Topher Grace (eben noch in Cannes als KKK-Chef David Duke in Spike Lees Blackkklansman, hier nun mit Bart, Brille und Hut), schwadroniert während des NES-Zockens über den Zustand seiner und Sams Generation von Männern, die eben nur mit Comics, Filmen und Videospielen groß geworden sind und die nichts mehr zu entdecken haben, weil eben schon alles entdeckt ist.

Mitchell übt hier natürlich fleißig Selbstkritik an seiner Generation, macht aber auch spürbar, wie verführerisch Popkultur und Verschwörungstheorien sein können, und wie ausweglos zugleich. Sams Suche fesselt augenblicklich, wird aber immer abstruser und findet gefühlt kein Ende, bis dann doch eine Art Auflösung stattfindet, die aber nicht wirklich befriedigen kann. Ich hatte gehofft, dass sich Mitchell noch mehr zu David Lynch bekennt. Under The Silver Lake ist sein Mulholland Drive als Slacker-Mystery, ein surrealer Neo-Noir mit einem manischen, beinah psychopathischen Helden. Viel trennt Sam eben nicht vom älteren Serienkiller Jack aus Lars von Triers The House That Jack Built. Daher bleibt den Frauen auch nur die Möglichkeit gänzlich von der Erdoberfläche zu verschwinden. Die Männer hören derweil Nirvana. Sie rebellieren in kleinen Dosen, spielen und wichsen. Das Modell hat die Verhältnisse fest gezurrt: Mitchells This is America!

Under the Silver Lake startet am 06. Dezember 2018 deutschlandweit in den Kinos.

-Gesehen im Rahmen des 71. Cannes International Film Festivals 2018-

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