"Cheyenne – This Must Be the Place " (ITA, F, IRL 2011) Kritik – Sean Penn und die ungeschminkte Wahrheit

“David, wir haben nichts gemeinsam – du bist so klar im Kopf.”

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Schon die ersten Bilder von Sean Penn in „Cheyenne – This Must Be the Place“ sorgten im Internet für ungläubiges Staunen. Robert-Smith-Gedenkfrisur und Lippenstift, die Gitarre im Anschlag, melancholischer Blick ins Leere – der Charakterdarsteller wirkte auf diesen Bildern ungewohnt zerbrechlich und schürte somit die Neugier auf den neuen Film des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino („Il Divo“). Auch die ersten Inhaltsangaben sorgten eher für Verwirrung, denn in diesen wurde Sean Penns Rolle oftmals als „Nazijäger“ betitelt, was natürlich sofort Erinnerungen an Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ weckte. Unpassender hätte man den Film im Vorfeld nicht ankündigen können, denn „Cheyenne – This Must Be the Place“ ist ein melancholischer Selbstfindungstrip mit einem überragenden Sean Penn.

In den Achtzigern war New-Wave-Rocker Cheyenne (Sean Penn) ein Teenieidol. Sein Markenzeichen: Düstere Texte voller Weltschmerz und Todessehnsucht, die Cheyenne ein volles Konto bescherten. Als jedoch zwei Teenager Cheyennes Texte als Inspiration für ihren Selbstmord erwählen, steigt der düstere Rocker aus dem Showgeschäft aus und fristet seitdem, geplagt von Schuldgefühlen, ein zurückgezogenes Leben im beschaulichen Dublin. Erst die Nachricht vom Tode seines Vaters bringt wieder Schwung in das eingefahrene Leben des Altrockers und so bricht Cheyenne auf nach Amerika um seinen Vater, zu dem er seit über 30 Jahre keinen Kontakt mehr hatte, die letzte Ehre zu erweisen. Dort angekommen wird Cheyenne mit der bitteren Vergangenheit seines Vaters konfrontiert: Während des Zweiten Weltkriegs ins KZ nach Auschwitz deportiert, hatte dieser unter einem seiner Wärter besonders zu leiden und versuchte zeit seines Lebens erfolglos diesen Peiniger zu finden. Cheyenne, der bisher in völliger Unkenntnis der tragischen Geschichte seines Vaters lebte, beschließt, die Suche nach dem Nazi-Peiniger zu Ende zu bringen.

In stellenweise überzogen bedeutungsschwangeren, dennoch atmosphärisch dichten Bildern erzählt Paolo Sorrentino von der Suche einer missverstandenen Seele nach den Peinigern seines Vaters. Diese steht hierbei nur bedingt im Vordergrund, vielmehr ist es die Suche nach der familiären Geschichte, die im Elternhaus über Jahre hinweg totgeschwiegen wurde, und damit letztendlich auch nach dem eigenen Ich. Diese gestaltet sich als überraschend kurzweilig, denn Sorrentino lässt Cheyenne in bester Jim-Jarmusch-Manier auf allerhand interessante und bizarre Persönlichkeiten treffen, die nicht weniger skuril sind, als der düstere New-Wave-Rocker selbst. So begegnet er nicht nur dem Erfinder des Rollkoffers, einem schweigsamen Indianer-Anhalter, sondern sogar einem echten Superhelden aus der Nachbarschaft.

Selten hat Sean Penn mehr beeindruckt als in „Cheyenne – This Must Be the Place“. Nebst seinem außergewöhnlichen Erscheinungsbild und seiner betont zerbrechlichen Körperhaltung ist es aber besonders die außergewöhnliche Fistelstimme die Sean Penns Darstellung eines gebrochenen Rockstars zu einem glaubwürdigen Gesamtbild abrunden. Selbst kürzeste Sätze bereiten ihm sichtliche Probleme, umso erstaunter Schreck man in den wenigen Szenen auf, in denen sich Cheyenne seines vollen Stimmvolumens bedient. Mit fortlaufender Reise scheint sich jedoch nicht nur der Geist, sondern auch der Körper des geschundenen Musikers zu erholen, bis er letztendlich zum ersten Mal sein ungeschminktes Ich der Welt präsentiert.

Fazit: Regisseur Sorrentino hat mit „Cheyenne – This Must Be the Place“ zwar schwere, aber dennoch durchaus bekömmliche Kino-Kost erschaffen. Unangefochtenes Highlight des Films bleibt aber Sean Penns einzigartige Performance. Ein absolutes Muss für jeden Arthouse-Fan!

Bewertung: 8/10 Sternen

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