Kritik: Das Zeiträtsel (USA 2018)

What if we are here for a reason? What if we are part of something truly divine?

Die Liebe ist niemals wirklich ganz verschwunden. Manchmal ist sie eben einfach nur umgeknickt und daher nicht direkt sichtbar. Diese trostvollen Worte richtet der Wissenschaftler Dr. Alex Murry in den anfänglichen Szenen von Das Zeiträtsel an seine kleine Tochter Meg. Seine Aussage veranschaulicht er dem Kind zusätzlich spielerisch mit einem speziell gefalteten Stück Papier, das hierzulande als Fingerspiel unter dem Namen Himmel und Hölle bekannt ist. Kurz darauf, als die Handlung des Films in der Gegenwart angelangt und Meg zu einer Jugendlichen herangewachsen ist, muss sich das Mädchen die Worte ihres Vaters immer wieder ins Gedächtnis rufen, um die Hoffnung nicht zu verlieren. Seit vier Jahren ist ihr Vater mittlerweile spurlos verschwunden und wird vermisst. Böse Zungen an Megs Schule behaupten gar, ihr Vater wäre absichtlich gegangen und hätte die Familie im Stich gelassen. Zuletzt hatte der Wissenschaftler fest die Theorie vertreten, dass neben dem uns bekannten Universum noch andere Welten existieren würden, die sich alleine durch die Kraft der Gedanken bereisen ließen.

Meg, die sich über die vergangenen Jahre zum Problemkind entwickelt hat, das schlechte Noten schreibt und mit Mitschülern aneinandergerät, glaubt allerdings weiterhin fest daran, dass sie mit ihrem Vater wiedervereint wird. Einen phantastischen Dreh erhält die Geschichte schließlich, als eines Tages plötzlich eine mysteriös kostümierte Frau im Wohnzimmer der Murrys steht, die sich nur Mrs. Whatsit nennt. Viel wichtiger als ihr Name und ihr Aussehen sind die Informationen, die sie der Murry-Familie eröffnet. Mrs. Whatsit ist eine Art Wächterin, die aus einer anderen Dimension auf die Erde gekommen ist, um der intelligenten Meg und ihrem spitzzüngigen, ebenfalls intellektuellen Bruder Charles Wallace dabei zu helfen, ihren verschwundenen Vater wiederzufinden. Mit der Ankunft dieser märchenhaften Figur entwickelt sich Das Zeiträtsel endgültig in ein abenteuerliches Fantasy-Spektakel, in dem den Grenzen des menschlichen Bewusstseinsschatzes völlig neue Möglichkeiten eröffnet werden.

Besonders interessant an der Verfilmung von Madeleine L’Engles Kinderbuch aus dem Jahr 1962 war bereits im Vorfeld die Wahl der Regisseurin. Bislang drehte die afroamerikanische Regisseurin Ava DuVernay zumeist betont afroamerikanisch-politische Werke. In Selma erzählte sie von Martin Luther King sowie einer entscheidenden Phase der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, während die Regisseurin in der Netflix-Dokumentation Der 13. die Geschichte von Sklaverei und Rassismus in Amerika von den historischen Anfängen aus aufrollte und einen Bogen bis hin zur Gegenwart spannte. Ungewöhnlich schien daher der nächste Schritt, für den eine Filmemacherin wie DuVernay, die sich vor allem in der Wahl ihrer Motive eine so klare Handschrift erarbeitete, von Disney ein gewaltiges Budget von 100 Millionen Dollar erhielt und einen familienfreundlichen Fantasy-Film drehen sollte.

Entstanden ist ein Film, der gerade erzählerisch von einigen Holprigkeiten geprägt ist und für den sich die Drehbuchautoren Catherine Hand und Jim Whitaker scheinbar nicht so richtig entscheiden konnten, an welche Zielgruppe die Geschichte letztendlich gerichtet sein sollte. Im Gegensatz zu Dr. Alex Murrys anfänglicher Aussage ist die Liebe zu dem Stoff, mit dem DuVernay ihre buchstäblich überdimensionierte Romanverfilmung aufgeladen hat, aber unentwegt sichtbar. Das Zeiträtsel führt den Zuschauer gemeinsam mit den Figuren in fremde Welten, welche beeindruckende Schauwerte, ungeahnte Möglichkeiten, bei denen die Grenzen der Physik außer Kraft gesetzt sind, und düstere Gefahren beherbergen. Dabei findet die recht überstürzt voranpreschende Geschichte, in der die Tonalität regelmäßig zwischen kindgerechter Seichtigkeit, geradezu drogentripartigen Visualisierungen und dramatischer Ernsthaftigkeit pendelt, aber immer wieder zu ihrem ungemein intimen Kern zurück.

Auch wenn Meg, ihr Bruder Charles Wallace und Calvin, Megs Klassenkamerad sowie offensichtlicher Verehrer, auf ihrer turbulenten Reise durch die Dimensionen mit allerlei überbordenden Erlebnissen konfrontiert werden, bleibt Das Zeiträtsel allen phantastischen Elementen zum Trotz eine familiäre, fast schon kleine Geschichte im denkbar großen Rahmen. Mit dem Planeten Camazotz, auf dem eine bösartige Entität danach strebt, alles und jeden mit negativen Gedanken zu vergiften, bringt DuVernay zumindest eine Art klassischen Bösewicht in Stellung. Dabei bleibt der Umgang mit dem Konflikt zwischen Gut und Böse in diesem Film trotzdem ein ungewöhnlicher, indem die Regisseurin sämtliche Auseinandersetzungen zwischen den Figuren durchwegs auf eine persönliche Ebene befördert und unentwegt Gefühle anvisiert und zum Vorschein bringt, mit denen sich die Betroffenen beschäftigen müssen. In diesem Zusammenhang ist  es nicht einmal zwingend notwendig, wenngleich nichtsdestotrotz empfehlenswert, den Film selbst als erwachsener Zuschauer mit dem neugierigen, aufgeregten Gemüt eines Kindes zu betrachten.

Das Zeiträtsel, der im Original den wesentlich schöneren Titel A Wrinkle in Time trägt, lässt sich auf gewisse Weise mit Christopher Nolans Science-Fiction-Blockbuster Interstellar vergleichen. Ähnlich wie Nolan träumt auch DuVernay von einem Riss in der Zeit, der es den Figuren ermöglicht, sich zwischen den Grenzen von Raum und Zeit fortzubewegen. Noch viel wichtiger als bildgewaltige Impressionen, für die sie mitunter auf stark artifizielle Effekte zurückgreift, ist der Regisseurin aber der empathische, zutiefst menschliche Zugriff auf diese Geschichte, die bis zuletzt davon handelt, die Liebe als allmächtige, sämtliche Hürden überwindende Kraft zu akzeptieren und die eigenen Schwächen als Teil einer funktionsfähigen Persönlichkeit anzuerkennen. Allzu zynische, kitschresistente Zuschauer dürften zu DuVernays Vision daher kaum einen Zugang finden und den Film stattdessen als esoterisches Heile-Welt-Debakel zerreißen. So mängelbehaftet Das Zeiträtsel gerade bezüglich der Auftritte von Nebenfiguren wie den drei Wächterinnen, gespielt von Oprah Winfrey, Reese Witherspoon und Mindy Kaling, oder einem von Zach Galifianakis dargestellten Medium auch sein mag, so besitzt der Film doch ein pulsierendes Herz und ein ganzes Füllhorn an kreativen Einfällen, die die Regisseurin in ihrem ersten Ausflug in große Studio-Blockbuster-Regionen mit spürbarer Wärme über ihr Publikum ergießt.

Das Zeiträtsel ist ab dem 05. April 2018 im Kino zu sehen.

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