Kritik: Im Strahl der Sonne (KP/RU 2015)

Im Strahl der Sonne
© Icarus Films

Eine Dokumentation im Theaterstaat Nordkorea

Der russisch-ukrainische Dokumentarfilmer Vitaly Mansky hat mit seinem Team ein Jahr lang die achtjährige Zin-Mi und ihre Eltern aus Pyŏngyang begleitet und eine Dokumentation über das Leben in Nordkorea gedreht. Das besondere: Mansky bekam eine offizielle Drehgenehmigung, um Zin-Mi und ihre Familie zu porträtieren: Wie sie mit ihren Eltern frühstückt, wie sie in die Schule geht, wie sie am Geburtstag von Kim Jong-Il bei den jungen Pionieren aufgenommen wird, wie ihre Eltern ihren Berufen nachgehen, wie sie mit dem Tanzunterricht beginnt und für ihren großen Auftritt am Ende des Films trainiert.

Doch diese Dokumentation hat ein festes Drehbuch: In der Tat werden im Abspann die Genossen Kim, Park, Cha und – noch einmal – Kim als Drehbuchautoren genannt. Nordkoreanische Funktionäre bewachten (betreuten?) das Filmteam nämlich die ganze Zeit. Manskys Kamera filmte aber nicht nur die geplanten Szenen, sondern dokumentierte – heimlich – auch den Prozess davor und danach. Dies wird zwar einerseits als Vertrauensbruch gegenüber den nordkoreanischen Partnern gesehen, andererseits können wir so als Zuschauer den kompletten Vorgang der Inszenierung dieser Dokumentation nachverfolgen:

Zin-Mi muss für die Frühstücksszene ihren Text mehrmals wiederholen („Kimchi ist gesund und schützt vor Krebs“), bis der Genosse Drehbuchautor zufrieden ist. Am Ende einer Szene in einem Vorzeige- -Krankenhaus schauen Lehrerin und Kinder gespannt in die Kamera, weil sie auf die nächste Regieanweisung warten. Die Regieanweisungen wirken zwar etwas ruppig, sind aber – nach meinen eigenen Erfahrungen mit südkoreanischen Fernsehjournalisten in Berlin („Wirkt natürlich! Jetzt lächeln!“) – nicht per se unfreundlich. Auch die nordkoreanischen Regisseure der Dokumentation spielen nur ihre Rolle in einem noch größeren Schauspiel: Im „Theaterstaat“ Nordkorea.

Dieser Begriff zirkuliert zurzeit in den Ostasienwissenschaften und z. B. Heonik Kwon (University of Cambridge) beschreibt damit, wie Rituale und organisiertes Schauspiel die charismatische Herrschaft der Kim-Familie stützen und perpetuieren. Man denke z. B. an den Massentanz am Ende des Films, der am Tag der Sonne (taeyangjŏl), dem Geburtstag von Staatsgründer Kim Il-Sung, aufgeführt wird. Im Namen von Kim Jong-Uns Großvater steckt das Schriftzeichen für Sonne, daher auch der Titel. Zin-Mi und alle anderen Beteiligten werden dabei zu Schauspielern, doch in einer totalitären Diktatur wie Nordkorea dringt die politische Rolle weit in den privaten Bereich hinein: Selbst die unschuldige Frühstücksszene wird so inszeniert, dass das Bild eines starken und wohlhabenden Staates („kangsŏng taeguk“) entsteht, dessen Bürger „niemanden beneiden müssen“: Der Text ist festgelegt und betont z. B., dass Kimchi auch das Nationalgericht Koreas ist. Außerdem sieht man in einer der vielen leckeren Schüsseln Fleisch! Selbst in der Hauptstadt Pyŏngyang ist dies für Nordkorea ungewöhnlich, denn seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang der 1990er ist das wirtschaftlich isolierte Land durch chronische Mangelwirtschaft, den Folgen der Hungersnot 1994-98 und Versorgungsengpässe geprägt, was sich erst in den allerletzten Jahren langsam ändert.

Doch nicht nur die Dialoge und das Fleisch zeigen die Meisterschaft der nordkoreanischen Kunst der Inszenierung: Zin-Mi’s Vater ist nicht mehr Journalist, sondern Ingenieur in einer Vorzeige-Textilfabrik und die Mutter nicht mehr Kantinenfrau, sondern Arbeiterin in einer Sojamilch-Fabrik. Die Familie scheint auch eine neue, schicke Wohnung bekommen zu haben und in der Schule wurden extra die Heizungen repariert. Die Inszenierung, deren Prozess wir durch die nicht ausgeschaltete Kamera und die sparsam, aber treffend eingesetzten Off-Kommentare verfolgen können, geht so weit, dass das Resultat wohl eher einer „Scripted Reality“ als einem „Dokumentarfilm“ nahe kommt.

Im Gegensatz zu klassischen Dokumentarfilmen gibt es – entsprechend der nordkoreanischen Instruktionen – auch (fast) keine Interviews mit den Protagonisten. Mansky schafft allerdings einen geschickten Ersatz: Immer wieder gelingen ihm farblich toll kontrastierte Nahaufnahmen der Protagonisten wie Zin-Mi oder einer faszinierend schönen Vorarbeiterin in der Textilfabrik. Die Kamera gibt dem Zuschauer auch genug Zeit, darüber nachzudenken, inwieweit Rolle und Person verschmelzen, inwieweit inszenierter Jubel „authentisch“ sind oder nicht, inwieweit Zin-Mi stolz ist, bei den jungen Pionieren aufgenommen zu werden. Auch Zwischensequenzen (z. B. eine U-Bahnfahrt) unterlegt mit Geigenmusik geben Zeit und Gelegenheit, die Menschen und ihre Umgebung aus der Nähe zu beobachten und über das Gesehene nachzudenken.

Die Fragen über Menschen und ihre Sozialisierung in einer Diktatur und über die unscharfe Grenze zwischen Inszenierung und Authentizität machen Im Strahl der Sonne zu einer faszinierenden Dokumentation über Nordkorea. Beeindruckend ist, wie ästhetisch reizvoll Manskys Film dieses Land mit seinen Menschen einfängt, das wir sonst nur in Form von offiziellen Propaganda-Videos (z. B. von KCNA, der staatlichen Nachrichtenagentur) oder verwackelten Undercover-Kameramitschnitten kennen.

Anselm Huppenbauer ist Doktorand an der Graduate School of East Asian Studies der FU Berlin.

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