Kritik: The Night of the Virgin (ES 2016)

© Platanoboligrafo

Roberto San Sebastíans Langfilmdebüt La noche del virgen reiht sich mit ungestümen Nachdruck in die jüngste Reihe aufsehenerregender, provozierender Filme wie Tenmos la carne, The Greasy Strangler oder Kuso aus den Randgebieten der herkömmlichen Filmindustrie ein. Dem unabhängig sowie mit wenig Budget produzierten Werk ist von Anfang an anzumerken, dass sich der Regisseur und seine Crew in jeder einzelnen Einstellung keine Sekunde lang Gedanken darüber machten oder überhaupt machen mussten, was ihr Publikum von ihnen erwartet. Gleichzeitig ist La noche del virgen aber auch ein Film, der brachial und liebevoll zugleich für ein Publikum maßgeschneidert wurde, das sich im prall gefüllten Kinosaal bei schmuddeligen, vulgären und fortwährend komplett aus dem Ruder laufenden Ekel-Exzessen am wohlsten fühlt.

In dieser Hinsicht hat Sebastían mit seinem Werk einen glatten Volltreffer gelandet, der zweifellos zu den unterhaltsamsten Party-Krachern des Jahres gehören dürfte. Eröffnet wird der Film, neben einem ausgedehnten Meta-Gag über ein reales spanisches TV-Duo, das eine Show zum kurz bevorstehenden Jahreswechsel moderiert, mit erfolglosen Flirtversuchen von Nico. In der Silvesternacht will der mit unattraktivem Überbiss ausgestattete Protagonist endlich seine Jungfräulichkeit verlieren, weshalb er in der Disco eine Frau nach der anderen antanzt, nur um jedes Mal blitzschnell abserviert zu werden. Erst die etwas ältere Medea zieht die Aufmerksamkeit des Anfang 20-Jährigen auf sich und sorgt dafür, dass beide in ihrer Wohnung landen. Hier scheint Nico seinem Ziel so nahe zu sein wie nie, doch gleichzeitig nimmt die ganze Situation immer seltsamere Ausmaße an.

Aufgrund des pubertären Tonfalls und dem herrlich schmerzbefreiten Spiel von Hauptdarsteller Javier Bódalo, der durch Slapstick-Einlagen, die an einen sexbesessenen, optisch versch(r)obenen Charlie Chaplin aus Spanien erinnern, mit schräger, unterhaltsamer Situationskomik aufwartet, ist La noche del virgen zunächst ein ungehemmter Spaß. Als Nico direkt bei seiner Ankunft in Medeas Wohnung eine Kakerlake zertritt und darüber belehrt wird, dass so etwas böse Konsequenzen für ihn haben wird, bewegt sich der Regisseur allerdings schnell in Regionen verschrobener Andersartigkeit vor. Nicht nur Nico ist ein äußerst spezieller Zeitgenosse, der sich fremden, unbekannten Körperflüssigkeiten neugierig mit seiner Zunge nähert. Auch Medea scheint mit dem deutlich jüngeren Mann etwas im Schilde zu führen, was offensichtlich mit dessen Jungfräulichkeit und einigen ominösen Büchern sowie einer Skulptur in ihrem Wohnzimmer zusammenhängt.

Bevor Nico realisiert, was nach einer Reihe unglücklicher Verkettungen in der Wohnung von Medea mit ihm geschehen soll, brechen in Sebastíans Film plötzlich alle Dämme. Medeas aggressiver, eifersüchtiger Ex-Freund Spider, der von außen brüllt und gegen die Tür hämmert, und ein unaufhörlicher Bassrhythmus, der von einem monotonen Techno-Track aus der darüberliegenden Wohnung stammen muss, vermischen sich zu einer beinahe unerträglichen Tonkulisse, die Nicos Nerven genauso zermalmt wie die des Zuschauers. Inmitten von abstoßenden Bildern, die der Regisseur teilweise in stakkatoartigen Montagen inszeniert, sowie einem Überfluss an Blut, Sperma und anderen Körperflüssigkeiten, die in horrenden Mengen über die Leinwand verteilt oder abgefeuert werden, öffnen sich in „La noche del virgen“ langsam die Tore zur Hölle, in die Sebastían und sein Team mit einer Mischung aus freudigem Ekel, ausgelassener Exzentrik und spaßigem Irrsinn blicken.

Auch wenn sich der Streifen über die Laufzeit von fast zwei Stunden stellenweise unerträglich in die Länge zieht und manche Szenen in fast schon provokativer Länge zelebriert werden, spiegelt dieser Umstand den Gemütszustand von Nico, der hier in einem endlosen Albtraum gefangen zu sein scheint, nur allzu konsequent. Die Meinungen spalten dürfte aber das unbeschreibliche, ausgedehnte Finale von Sebastíans Film, in dessen Mittelpunkt sich ein gut 10-minütiger Höhepunkt befindet, bei dem La noche del virgen endgültig aus allen Rohren schreit, kotzt und presst. Spätestens hier sollten Anhänger des Transgressiven und Dadaistischen diesen sympathischen und urkomischen Tabubrecher zumindest ein wenig in Herz geschlossen haben, auch wenn sie den Film womöglich kein weiteres Mal mehr sehen wollen.

The Night of the Virgin wird am 17. November diesen Jahres auf Blu-ray und DVD erscheinen.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=M9Z1qUt_f1c&w=504&h=308]

 

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