Kritik: Wiener Dog (USA 2016)

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A dog is not human, it’s an animal. Nature doesn’t care about them. It’s sad but true, we’re dogs only friend.

Durch die schmalen Gitterstäbe seines handlichen Käfigs blickt der titelgebende Dachshund zu Anfang von Wiener Dog in den Himmel, kurz bevor ihn ein Platz im giftgrün ausgeleuchteten Tierheim erwartet. Diese Einstellung, der Blick nach oben in ein nur von wenigen Wolken befallenes Firmament, gemahnt an einen anderen Film aus diesem Jahre: Lenny Abrahamsons Raum, für den Brie Larson ihren Oscar als Beste Hauptdarstellerin entgegennehmen durfte. Auch dort gibt es eine ähnliche Sequenz, in der der von Jacob Tremblay gespielte Jack nach fünfjähriger Gefangenschaft zum ersten Mal den Himmel erblicken darf. Wiener Dog allerdings ist nun quasi die Umkehrung dieses freiheitlichen Moments, denn hier erwartet nicht nur den kleinen Vierbeiner die Gefangenschaft, auch dem Menschen wird infolgedessen schmerzlich vor Augen geführt, dass er sein Leben nur allzu oft in einem Gefängnis fristet, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, diesem zu entkommen.

Und Todd Solondz (Happiness) ist nun der richtige Mann für die unangenehmen Fragen respektive Wahrheiten. Wieder einmal folgt er seinem Paradethema und beobachtet ausgewählte Charaktere, die man wohl als Außenseiter und Randläufer bezeichnen möchte – jedoch keinesfalls als Versager. Als roter Faden führt uns der Hund dabei durch eine episodisch-zergliederte Erzählung und gewährt uns so den Einblick in verschiedene Sozialräume, von der Upperclass bis zum Down-Syndrom-Haushalt, in denen doch vor allem das persönliche Streben nach Glück sowie das unweigerliche Scheitern daran allgegenwärtig scheint. Wiener Dog ist – auch das ist charakteristisch für Todd Solondz – an Menschen interessiert, die sich in existentiellen Einbahnstraßen befinden. Menschen, die sich aus Bequemlichkeit oder aus Angst in Sackgassen haben treiben lassen und dem bitteren Verlauf ihrer Lebenslinien nun insgeheim nachtrauern, weil ihnen nur Einsamkeit geblieben ist. Offen ansprechen würde es natürlich niemand, die Lebenslüge ist hier der profilneurotische Status quo.

Immer wieder erscheint es so, als würde sich Todd Solondz mit seinem Hang zur artifiziellen Oberfläche über jene Indie-Filme lustig machen, die sich dem ‘Sundance-Look’ zu eigen gemacht haben und in ihrer bonbonfarbenen Reizüberflutung inhaltlich zwanghaft den Einklang mit Harmonie und gestillter Sehnsucht suchen. Solondz bedient sich dieser formal-ästhetischen Aufmachung ebenfalls, seine Filme allerdings sind im besten Sinne dunkelbunt und scheuen es, dem Zuschauer anbiedernd in die Karten zu spielen, obgleich man sagen muss, dass Wiener Dog keinesfalls auf seine Charaktere einschlägt und offen demütigt. Solondz beweist vielmehr seine sozialrealistische Menschenkenntnis, wenn er zum einen aufzeigt, wie freudlos-mechanisch die involvierten Personen durch ihre mitleiderregenden Lügengebäude schlurfen, simultan dazu aber auch mit einer Zärtlichkeit auf diese Individuen zugeht, anstatt sie zu verurteilen, dass einem diese ausgelebte Poesie des Abgründigen, des Unperfekten und Wahrhaftigen ernsthaft ans Herz geht.

Der beste Freund des Menschen wird also zu einem Katalysator, der genau das entlarvt, wovor wir uns am meisten fürchten: Unsere innere Leere. Schön ist dabei aber, dass Todd Solondz seinen Sinn für das Skurrile niemals verliert und immer wieder das Tragische im Komischen wie auch das Komische im Tragischen entdeckt – ohne sein Ensemble, trotz mancher Überspitzung, bloßzustellen. Wiener Dog beweist erneut, wie präzise Todd Solondz fungieren kann, wenn er sich mit den unrühmlichen, aber elementaren Eigenheiten der menschlichen Natur auseinandersetzt. Genau deswegen ist Wiener Dog, dieses exzentrische Hybridwesen, so wunderbar anzuschauen, weil Solondz, der hiermit erneut seinen Ruf als einer der besten Filmemacher abseits des Mainstreams untermauert hat, eben genau weiß, wann man lachen darf und wann einem dieses Lachen besser im Halse stecken bleiben sollte. Eine bitterböse Herzensangelegenheit, genau das ist dieser Film geworden.

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