"Sinister" (USA 2012) Kritik – Ethan Hawke und die Bänder der Grausamkeiten

“Wir müssen hier weg!”

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Ein Umzug von A nach B kann für vielerlei Dinge im Leben der betroffenen Personen stehen. Sei es ein Neubeginn oder ein Abschied. Man muss sich losreißen von alten Gewohnheiten und sich den neuen Umständen und der unbekannten Umgebung langsam anpassen. Man lernt neue Freunde kennen, man trifft Menschen, mit denen man einfach nicht klar kommt und das Leben selbst kann durch den Ambientewechsel in eine ganz neue Richtung gelenkt werden. In jedem Fall gilt es dabei eine Sache festzuhalten: Egal aus welchem Blickwinkel wir einen derartigen Umzug betrachten, er steht immer für persönliche Veränderungen. Im Horrorfilm steht ein Umzug meistens auch für eine Veränderung, jedoch der etwas extremeren Art und Weise, denn dort ist das zumeist der Anfang vom Ende. Der erste Schritt in die lodernden Qualen, die sich gerne mit den vorherigen Bewohnern verknüpfen und die Vergangenheit dieser Menschen zum Gegenwartsproblem der neuen Bewohner macht. Legitim ist es an dieser Stelle zu behaupten, dass ein derartiges Genre-Versatzstück inzwischen schon als alter Hut bezeichnet werden darf, doch letztlich ist es immer eine Frage der Umsetzung. Regisseur Scott Derrickson hat sich mit seinem Horrorfilm „Sinister“ einem solchen Thema angenommen und nicht nur einen sehenswerten Vertreter des Genres inszeniert, sondern nebenbei auch noch einen effektiven Stil-Coup gelandet.

Vor Jahren konnte Ellison Oswalt mit seinem Krimiroman „Kentucky Blood“ einen echten Bestseller landen. Darin nahm er die Polizeiarbeit aufs Korn, durchleuchtete ihre Fehler und konnte den schwierigen Fall sogar noch höchstpersönlich lösen. Doch die Tage vergingen, der Erfolg setzte langsam Staub an und Ellison konnte nie wieder einen derartigen Treffer landen. Er recherchiert immer weiter in ungeklärten Mordfällen und in seiner schieren Angst vor dem Versagen, zieht er mit seiner Familie von einer brisanten Umgebung in die nächste – ohne Erfolg. Als Ellison jedoch ein Haus für sich gewinnen konnte, in dem eine ganze Familie ums Leben gekommen ist, sieht er seine Chance für das große Comeback. Zusammen mit seiner Frau und den zwei Kindern, denen er natürlich nichts von den Vorfällen erzählt hat, bezieht er die geräumige Behausung und muss auch schnell feststellen, dass der Sheriff nicht unbedingt erfreut über die Ankunft der Oswalts ist. Als Ellison auf dem Dachboden in einer alten Kiste mehrere Super-8-Bänder findet, geht der Schrecken los. Anstatt auf altbekannte Familienaufnahmen zu treffen, befinden sich auf den Bändern grausame Morde, die Ellisons Dasein und das seiner Familie immer extremer beeinflussen…

Den angesprochenen Coup, den Regisseur Scott Derrickson mit „Sinister“ landet, ist folgender: Jeder von uns ist inzwischen vertraut mit dem Found-Footage-Kram à la „Paranormal Activity“ oder „Blair Witch Project“. Derrickson benutzt einen simplen Trick, in dem er lediglich auf die Elemente des Found-Footages zurückgreift, sie daraufhin nur bei den Super-8-Bändern vom Hausdachboden verwendet und den Rest des Filmes im konventionellen Stil verarbeitet. Keinerlei Handkamerachaos oder sonstige Ungereimtheiten bestimmten hier das eigentliche Geschehen, wobei das unausweichliche Grauen natürlich von den schrecklichen Bändern ausgeht. Ein weiterer Pluspunkt ist die Besetzung von Ethan Hawke („Training Day“) als Ellison Oswalt. Hawke ist einer der Darsteller, die vollkommen zu Unrecht immer wieder unterschätzt und belächelt werden. Wer Sidney Lumets Abschiedswerk „Tödliche Entscheidung“ gesehen hat, der wird wissen, zu welchen Großtaten der gebürtige Texaner in der Lage ist. Und auch in „Sinister“ überzeugt Hawke auf ganzer Linie und erweist sich letztlich sogar als Idealbesetzung. Ohne als klare Sympathiefigur aufzutreten, gibt Hawke seinem Charakter den nötigen Rückhalt und bindet ihn zwischen Egomanie, Ignoranz und Versessenheit durchgehend an den Zuschauer, der sich das Interesse an seiner Person nie verkneifen kann.

Die Eröffnungsszene gibt die Richtung von „Sinister“ unmissverständlich vor: Ein kräftiger Ast bricht vom Stamm und zieht dadurch vier vermummte Personen in die Höhe. Die Stricke um die Hälse ziehen sich enger und die Körper zappeln ein letztes Mal. Eine schaurige Begrüßung ist Derrickson mit dieser Szene durchaus gelungen. Danach nimmt sich der Film die nötige Zeit, um seinen Hauptcharakter in Ruhe vorzustellen. Ellison ist ein beruflicher Einzelgänger und nicht nur mit seiner Frau verheiratet, sondern im übertragenen Sinne auch mit seiner Arbeit. Während die Polizei ihn nicht gerne in der eigenen Nähe hat, beginnen die Probleme, die nicht nur aus dem eigentlichen Karrieretief herausragen, erst richtig mit dem Besuch des Dachbodens. Wie einst Nicolas Cage in Joel Schumachers „8MM“ setzt sich Ellison mit den verstaubten Super-8-Bändern auseinander und wird mit einer unermesslichen Grausamkeit nach der anderen konfrontiert. Kehlen werden durchtrennt, Gartengeräte bekommen einen neuen Sinn, gefesselte Menschen ertrinken im Pool und auch das Feuer wird hier zum flammenden Verhängnis. Ellison kämpft sich durch die Aufnahmen, besessen von der Neugier und doch abgestoßen von den Tatsachen, dringt er immer tiefer in die archivierten Abgründe. Während er sich von seiner Familie abkapselt und den merkwürdigen Vorfällen, die sich immer öfter zutragen, nicht in die Augen blicken will, sondern sie in gewisser Weise verleugnet, ist er nicht nur ein Opfer seiner selbst, sondern auch schon längst ein Opfer einer höheren Macht.

„Sinister“ lebt von seiner durchgehend bedrohlichen Grundstimmung. Es wird auf all das zurückgegriffen, was das Genre ausmacht: Die Dielen knarren, die Türen haben ihre letzte Ölung vor Jahrzehnten bekommen und undefinierbare Geräusche tönen aus allen Ecken. Werden wir dann mit den abscheulichen Videoaufnahmen konfrontiert und dabei gleichzeitig in die Rolle von Hauptakteur Ellison gepresst, der genauso wenig weiß wie wir, was als nächstes auf ihn zukommen wird, findet die Atmosphäre ihren Höhepunkt. Zwischen Andeutungen und heftigen Nackenschlägen, zieht Regisseur Derrickson den Zuschauer immer direkt ins Geschehen, arbeitet immer wieder und wieder mit mysteriösen Symbolen und rätselhaften Erscheinungen, die nicht nur einmal einen konsequenten Schauer über den Rücken jagen lassen. Die Mixtur aus Found-Footage-Elementen und der altehrwürdigen Haunted-House-Story lässt sich sicher nicht als Neudefinition verstehen, aber sie schafft es, frischen und wirkungsvollen Wind in den elendigen Genre-Alltag zu bringen. Würde sich „Sinister“ nicht so offensichtlich an den gleichen Stellen festklammern, nur um zu verheimlichen, das die eigentliche Handlung längst erzählt ist, hätte Derrickson ein echtes Highlight inszenieren können und dem seelenfressenden Wahnsinn so einen ganz besonderen Platz in der Jahresauswertung verschaffen. Unter dem Strich bleibt ein spannender, wenn auch nicht unbedingt innovativer Horror-Streifen, der durchaus sehenswert ist.

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