"Stereo" (DE 2013) Kritik – Du kannst deinem wahren Ich nicht länger entkommen

Autor: Pascal Reis

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„Ich hab dir doch von meinen Alpträumen erzählt. Die sind schlimmer geworden.“

Man fühlt sich bei der Besprechung zu einem neuen Genre-Streifen aus Deutschland anfangs immer noch ein wenig gehemmt in seiner Formulierung, möchte man dem deutschen Filmmarkt doch nicht schon wieder all die künstlerische Mutlosigkeit und Tristesse attestieren, wie es in Rezensionen seit Jahren Gang und Gäbe ist, sondern ein schnittiges Lob dafür aussprechen, wenn auch nur für den Versuch. Aber inzwischen ist der Punkt erreicht, in dem das Bestreben und Bemühen allein nicht mehr sonderlich viel bedeutet: Ergebnisse müssen her. Während Österreich mit „Blutgletscher“ und ganz besonders „Das finstere Tal“ ein enormes genreaffines Verständnis an den Tag legte, müht sich das einst in seiner Produktivität so strahlende Deutschland mit grässlichen Gehversuchen der Marke „Lost Place“ ab. Voreilig handeln jedoch ist tunlichst zu vermeiden, und in der Filmwelt ist es ja bekanntlich so, dass der nächste moderne Klassiker womöglich schon in den Startlöchern steht, um den missgestimmten Tenor kurzerhand verstummen zu lassen.

Warum also soll Maximilian Erlenwein mit „Stereo“ nicht genau diesen innig ersehnten Klassiker inszeniert haben? Die Vorzeichen immerhin ließen sich nicht wie ein schlechtes Omen deuten: Zum ersten Mal vor der Kamera vereint, hatte man mit Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu zwei der ganz großen deutschen Darsteller im Repertoire, deren schauspielerische Fähigkeiten wohl längst nicht mehr in Frage gestellt werden müssen. Als dann auch der erste Trailer seine Runden auf verschiedenen Portalen drehte, verfestigte sich die Hoffnung weiterhin, es bei „Stereo“ mal wieder mit knüppelhartem Output zu tun zu bekommen, der sich vielleicht auch traut, festgefahrene Regeln zu brechen, marode Statuten zu torpedieren und dem Anarchismus bisweilen zu frönen. Und auch wenn die Melodie des Liedes inzwischen zur reinsten Lärmbelästigung geworden ist: Etwaige Vermutungen manifestieren sich als schrecklich vergebens. Dabei beginnt „Stereo“ wirklich stimmungsvoll und entführt uns in eine ländliche Kulisse, in der Erik (Jürgen Vogel) sein in die kultige Lederjacke gehülltes Dasein als Motorradmechaniker fristet.

Und natürlich lässt Erik es sich auch nicht nehmen, die idyllischen Alleen mit quietschenden Reifen entlangzupreschen. Im trauten Heim wartet dann Julia (Petra Schmidt-Schaller) mit ihrem Töchterlein und der Familiensegen scheint sich wie von selber zu hegen und zu pflegen. Es ist die wohl bedrückendste Einstellung der Films, wenn Erik die im schluffigen Kapuzenpulli vergrabene Person erst auf dem Dach des Wohnmobils entdeckt, um sie in der darauffolgenden Nacht regungslos im Kornfeld stehen zu sehen. „Stereo“ definiert sich sodann als das Interesse des Zuschauers schürender Mystery-Thriller, schaurig und faszinierend: Die effektivste Melange. Dass es sich bei der Person um Henry (Moritz Bleibtreu) handelt, die einzig und allein Erik sehen kann, macht „Stereo“ bereits wenige Szenen später deutlich, was der Geschichte selbstredend ein gutes Stück an dramaturgischen Potenzial entzieht. Die Referenzen an „Fight Club“, die sich in vielen Kritiken finden lassen, ergeben allerdings keinen Sinn, besitzt der Film doch keinerlei Drang zur mentalen wie körperlichen Entfesselung durch Kontroversen. „Stereo“ ist kein vor Wut schäumender Film, noch verfügt er über eine organische emotionale Fallhöhe, die dem Ganzen eine Form von Relevanz einflößen könnte.

Maximilian Erlenwein hingegen versucht sich daran, seine ansprechende Idee durch findige Verschachtlungen in Schwung zu halten, erschöpft das Narrativ aber schon im nächsten Schritt damit, es zwingend gegen die unsägliche Konstruiertheit seiner Inszenierung antreten zu lassen. Dass man es bei „Stereo“ letzten Endes mit einer dumpfbackigen, anti-reflexiven Version von „A History of Violence“ zu tun bekommt, wäre auch kein schwerwiegendes Vergehen, würde sich „Stereo“ dazu in der Lage sehen, sein düsteres Klima auch authentisch zu verkaufen, anstatt dieses am assig-attitüdenhaften Machismo weiden zu lassen. Die Konfrontation mit der Vergangenheit, die Konfrontation mit dem Schattenseiten seiner Persönlichkeit, der charakterbezogene Diskurs über die Vergangenheit, die nicht automatisch mit Vergessenheit in Relation steht, bedeuten „Stereo“ nichts. Es geht ihm nicht um Psychologie, er nutzt diese elemantaren Andeutungen als Spielwiese für die industriell-elektronische Klangkulisse und nette Kamerafahrten, um gegen Ende noch – ganz im Sinne der geschlechterorientierten Zuweisung – ein paar Hiebe gegen die bösen Kerls auszuteilen, während die Frau bittere Tränen weinen darf. Das ist öde und unfreiwillig komisch, nicht mehr.

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