„The Voices“ (DE/USA 2014) Kritik – Ryan Reynolds lässt das Morden nicht

Autor: Pascal Reis

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„You remember last week when you said that there was an invisible line that separates good from evil and you’d thought you crossed it and I said no no no you’re a good boy? I’ve changed my opinion.“

Nein, Jerry Hickfang (Ryan Reynolds) hat man gern, gar keine Frage, und um seine Sympathieachse zu betonieren braucht „The Voices“ nicht einmal 5 Minuten. Wenn wir unseren Protagonisten im pinken Overall durch die Badewannenfabrik „Milton, Fixture & Faucet“ schlendern sehen und dieser nach einem Lob seines Chefs ein breitgezogenes Dumpfbackengrinsen auflegt, dann scheint die Welt endlich im Gleichgewicht einzurasten, alles blüht farbenfroh, obwohl nirgendwo ein Blümchen zu sehen ist, der Himmel strahlt in einem wunderbar reingespülten Blau, obwohl über unseren Köpfen doch nur die kahle Decke des industriellen Übermaßes wartet. Grundsätzlich ist es ja schon mal von Vorteil, wenn es einem Film ohne jede Mühsal gelingt, seine Hauptfigur so liebenswert zu gestalten, dass man ihr gerne dabei zu sieht, wie sie ihr Tagwerk verrichtet. Marjane Satrapis „The Voices“ aber hat das Problem, dass der Film sich bereits nach 20 wirklich amüsanten Minuten als vollständig auserzählt erweist und sein inhaltliches Misslingen fortan auf dem Silbertablett serviert.

Jerry Hickfang ist natürlich nicht einfach nur die freundliche Fabrikarbeitskraft, nein, Jerry Hickfang ist auch der freundliche Psychopath von nebenan. Wenn Jerry zurück in seine Wohnung kommt, erwarten ihn schon Kätzchen Mr. Whiskas und Hund Busco, die ihm in mal mehr, mal weniger obszönem Sprech darauf hinweisen, dass er doch endlich seine Tabletten absetzen sollte, wenn er seine Haustiere denn nicht zum Schweigen bringen möchte. Ja, Jerry Hickfang ist psychisch krank, die Arbeit in der Fabrik soll als eine Art Resozialisierungsmaßnahme fungieren, die genau in dem Moment scheitern wird, wenn Jerry seine Psychopharmaka das Abflussrohr hinunterjagt. Aber meine Güte: Ohne die rigide Medikation ist das Leben nicht nur deutlich wärmer, es ist auch weit weniger einsam, denn neben der vorlauten Katze (Teuflisch!) und dem treuen Hund (Gewissenhaft!) zeigen sich auch Fiona (Gemma Arterton) und Lisa (Anna Kendrick), zwei süße Schnitten aus der Buchhaltung, dem eigentlich herzensguten Jerry etwas aufgeschlossener. Wenn da doch nur nicht diese elende Mordlust wäre!

„The Voices“ zieht uns in den Kopf des Serienmörders, allerdings weit weniger nachhaltig als es etwa William Lustig mit „Maniac“ oder John McNaughton mit „Henry: Portrait of a Serial Killer“ gelang, was vor allem damit zusammenhängt, dass die beiden Klassiker eine geradlinige Marschroute konzipierten und dieser auch gekonnt folgten. Marjane Satrapi und ihr Drehbuchautor Michael R. Perry wissen nicht nur nicht um das Potenzial ihres Sujets, sie wissen auch den auffällig minimierten Resonanzraum ihrer Inszenierung kaum befriedigend auszukleiden. Die Charaktere entwickeln sich nach den genannten 20 Minuten nicht mehr weiter, der visuelle wie verbale Humor schleift zunehmend, beruft sich auf Repetition und wechselt die anfänglich luftige Skurrilität in einen entschiedenen Zynismus, der die dann und wann erheiternde Komik des Filmes vor allem als reine Kalkulation bestätigt. Es bestand hier die Möglichkeit, eine gnadenlos schwarzhumorige Satire über die morbide Serial-Killer-Faszination der Vereinigten Staaten vom Leder zu reißen, in dem man der Geschichte einen doppelbödige Unterbau verleiht.

Von bissiger Satire aber ist „The Voices“ weit entfernt, stattdessen darf irgendwann die Vulgärpsychologie-Peitsche zum Vorschein kommen und blutige Striemen auf dem Rücken unseres psychotischen Hauptdarstellers ziehen, was den Film in seinem gesamten Gebaren umso einfallsloser erscheinen lässt. Als leidlich groteske Posse blickt „The Voices“ letzten Endes treu-doof aus der Wäsche und erinnert vor allem daran, doch mal wieder John Waters „Serial Mom – Warum lässt Mama das Morden nicht?“ in den Player zu schmeißen, der war nämlich so reflektiert, das Serienkiller-Motiv auch als Spiegelung eines in Bonbonpapier gehüllten amerikanischen Suburbia zu deuten. In „The Voices“ hingegen funktionieren die Gags ausschließlich ohne anhaltende Halbwertszeit, ohne Hintersinn, ohne Mehrwert, ohne geistreichen Vorstoß: Innereien in gestapelten Tupperdosen, sprechende Köpfe von schönen Frauen im Kühlschrank und der Katzenkot auf der Couch. Dass Ryan Reynolds eine wirklich gute Leistung an vorderster Front abliefert, muss ihm anerkannt werden, wenn auch nur als Wermutstropfen.

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