"Trust" (USA 2010) Kritik – Clive Owen und tiefe familiäre Narben

Autor: Pascal Reis

“People get hurt. There’s only so much we can do to protect ourselves, our children. The only thing we can do is be there for each other when we do fall down to pick each other up.”

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Was bedeutet schon „Internetbekanntschaft“? Dahinter versteckt sich ein Mensch, der die volle Anonymität seiner Person ausnutzen kann. Er hat die uneingeschränkte Möglichkeit, sich vom Namen bis zur Altersangabe und dem Aussehen vollkommen zu verändern und neuaufzubauen. Und so kann er die naiven Gesprächspartner am anderen Ende des Chatfensters gnadenlos in sein perfides Netz locken. Aus herkömmlichem Smalltalk wird intensiver, zwischenmenschlicher Kontakt. Man plaudert über alltägliche Dinge, sucht nach Antworten auf persönliche Probleme und teilt sogar gemeinsame Interesse. Wer sich in Wahrheit hinter dem Bildschirm befindet, bleibt nach wie vor ungewiss, doch man glaubt seinen Worten. Die Person, die man noch nie in seinem Leben gesehen hat, taucht plötzlich tagsüber in den Gedanken auf, man freut sich bereits auf das Hochfahren des Laptops und wartet gespannt darauf, dass er sich endlich wieder meldet. Man baut unscheinbar eine Beziehung zueinander auf, die den virtuellen Kreis verstummen lässt und man gibt sich auf den anderen Menschen hin.

Ein Treffen rückt in den Kreis des Unausweichlichen, man muss diesen Menschen einfach sehen, mit denen man sich die Nächte um die Ohren geschlagen hat, mit dem man bereits die Handynummer ausgetauscht hat und über die intimsten Dinge abends in getrennten Bett gesprochen hat. Man will sehen, wie diese Person lacht, wie sie Worte ausspricht, die man sonst nur in schriftlicher Form von ihr kennt, man will genau die Berührungen, die einem seit geraumer Zeit als Wunsch durch den Kopf irren. Doch die Wahrheit kann ganz anders aussehen, wie es David Schwimmers „Trust“ zeigt, in dem sich die 14-jährige Annie (Liana Liberato) mit ihrem heimlichen Internetschwarm Charlie trifft, der sie bezüglich seines Alters schon einige Male vorher angelogen hat. Dann die reale Ernüchterung: Charlie ist nicht 16, Charlie ist nicht 25, Charlie ist über 40 und nicht der hübsche Sportler, den Annie sich vorgestellt hat, wenn sie ihren Körper um die Bettdecke geschlungen hat gebannt auf das Handy starrte.

Wer dem plakativen wie grenzdebilen DVD und Blu-ray-Cover von „Trust“ Vertrauen schenkt, schneidet sich ins geblendete Fleisch. Clive Owen wird hier nicht zum Racheengel, der die Vergewaltigung seiner Tochter rächen will, sondern Schwimmer lässt seine Inszenierung in eine ganz andere Richtung laufen, fernab der eines Rache-Thrillers. „Trust“ ist ein Familien-Drama, in dem das Hauptaugenmerk auf die Zeit nach der Tat gelenkt wird. Im Mittelpunkt stehen da Annie und ihr Vater Will Cameron (gespielt von Clive Owen, der hier wieder eine hervorragende Leistung abliefert). Annie, die genau die Regel bricht, die sie Zeit ihres Lebens eingetrichtert bekommt, steigt in das Auto von Charlie und landet in seiner Wohnung, wo Charlie von ihr verlangt, dass sie sich vor ihm in Unterwäsche zeigt und dann zu ihm aufs Bett setzt. Was danach folgt, kann sich jeder Zuschauer denken. Doch Annie erzählt ihren Eltern nicht davon, sondern zerbricht immer mehr daran, dass Charlie sich nicht wieder gemeldet hat, obwohl er es ihr versprochen hat und immer wieder betonte, wie besonders sie für ihn doch ist. Das Telefon klingelt nicht mehr, das Chatfenster verstummt, Annie ist nur eine von vielen gewesen. Kommt die Wahrheit aber ans Licht, ist nicht nur Annie Opfer der Lage, sondern die ganze Familie.

Will wird zum verzweifelten Familienoberhaupt: Er sucht nach dem Ablassventil für all seinen Zorn und die übermächtige Trauer in seinem Inneren. Er sinnt auf Vergeltung, will Charlie tot sehen, doch jeder Versuch, jeder Gedanke an einen solchen Vorgang zerbricht nur noch mehr in ihm. Kurzschlussreaktionen gehen Hand in Hand mit dem verankerten Seelenleid. Charlie ist vom Erdboden verschwunden, doch seinen Geschmack wird Annie nie vergessen. Genau wie Will, der seiner Tochter nie wieder wie früher in die Augen blicken kann, ohne zu sehen, wie er sich auf sie legt. Das „Trust“ ein derart aktuelles und allgegenwärtiges Thema anspricht, bringt den anfänglichen Verdacht auf die altbekannte Moralkeule unweigerlich mit sich.

Und in der Tat: Schwimmers Inszenierung ist nicht immer gespickt mit der subtilen Eindringlichkeit, die die großen Momente von „Trust“ auszeichnen, sondern geht doch hin und wieder einen Schritt zu deutlich in die Richtung des erhobenen Zeigefingers, ohne sich an ihn zu klammern und das Geschehen seinem Dirigat penetrant folgen zu lassen. „Trust“ spricht viel Wahrheit, verteilt die Rollen des Opfers nicht nur auf eine Person, sondern auf das ganze familiäre Umfeld, genauso, wie es in der Realität auch wäre. Eine Familie wird in ihren Grundwerten erschüttert, das Leben unter- und miteinander für immer verändert und die ehemals unbeschadete Verbundenheit zerschlägt in ihre Einzelteile.

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