Kritik: Der Vorname (FR, BE 2012) – Frankreichs Antwort auf den Gott des Gemetzels

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Adolf hat Adolphe getötet.

Eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben eines jeden Elternteils ist die Namensgebung für das eigene Kind. In unserer heutigen Gesellschaft gelten inzwischen eine Vielzahl von Namen als geradezu verpönt, anderen hingegen werden von vornherein gewisse Charaktereigenschaften zugeordnet. Doch es gibt auch Namen, die auf Grund der Gräueltat eines einzelnen Menschen zum gesellschaftlich anerkannten Tabu werden, bestes Beispiel ist wohl der Vorname Adolf. Einst war Adolf ein beliebter und häufiger Vorname in deutschsprachigen Gebieten, doch dank des kleinen Mannes mit dem markanten Bärtchen (nein, nicht Charlie Chaplin) ist der Name fast vollständig ausgestorben. Was aber nun, wenn man sich doch dazu entschließen sollte, seinem Kind diesen vorbelasteten Namen anzuheften? In der französischen Komödie „Der Vorname“ von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte dient diese Frage als Ausgangspunkt eines herrlich absurden Kammerspiels, das nicht von ungefähr an Roman Polanskis „Der Gott des Gemetzels“ erinnert: Wie Polanskis bissige Satire basiert auch diese französische Komödie auf einem erst wenige Jahre alten Theaterstück und die Ausgangssituation ist eine ähnliche. Zwar ist „Der Vorname“ nicht ganz so bissig und menschenfeindlich wie Polanskis „Der Gott des Gemetzels“, dafür aber stellenweise umso komischer.

Pierre (Charles Berling) und Elisabeth, genannt Babou gehören zur Bildungs-Elite Frankreichs. Während sie an einer staatlichen Schule unterrichtet und sich zu Hause um ihre beiden Kinder kümmert, gibt er Literatur-Vorlesungen an einer renommierten Universität. Beide wollen mal wieder einen gemütlichen Abend mit ihren besten Freunden verbringen, dazu zählen Posaunist Claude (Guillaume de Tonquédec) und Babous Bruder Vincent samt schwangerer Ehefrau. Doch Vincent hat eine Überraschung auf Lager, die sich gewaschen hat, denn der äußerst erfolgreiche Geschäftsmann möchte an diesem Abend den Namen seines Kindes enthüllen. Gespannt warten die Gäste darauf, dass Vincent nun den Namen preisgibt, doch als er verkündet, dass er sein Kind Adolphe, nach der Hauptfigur des gleichnamigen Buchs von Benjamin Constant nennen will, bleibt den Anwesenden das Essen im Halse stecken und ein wilder Streit entbrennt…

Anders als „Der Gott des Gemetzels“ braucht „Der Vorname“ keine Aufwärmphase. Mussten in Polanskis Film erst formelle Höflichkeitsfloskeln überwunden werden, bis man sich richtig an die Gurgel gehen konnte, kennen sich die Protagonisten bereits über einen längeren Zeitraum und haben dementsprechend auch keine Scheu davor, lautstark ihre Meinung zu äußern. Dass es dabei letztendlich nicht um die banale Frage nach einem Vornamen geht, wird schnell deutlich, stattdessen nutzt man diesen Ausgangsstreit, um seinen „Freunden“ endlich einmal all das sagen zu können, was der Anstand bisher verboten hat.

Bereits nach der ersten Viertelstunde scheint die Lage vollkommen eskaliert, hitzige Wortgefechte werden ausgetragen und keiner der Beteiligten möchte sich hier die Blöße geben. Die Frage, ob das Kind nun „Adolf oder Adolphe“ genannt werden soll, scheint bald nebensächlich und schnell schweift man in Grundsatzdiskussionen über Religion, Politik oder Moral ab. Letztendlich braucht es aber auch hier erst den Dämon Alkohol, um wirklich Tacheles zu reden. Nach und nach driftet der Streit immer mehr ins Persönliche ab und so werden durch einige unüberlegte Äußerung plötzlich fest geglaubte Werte in Frage gestellt und selbst die Familienbande scheinen gar nicht mehr so stabil wie vor diesem Abend. Leider zeigt sich der Film letzten Endes dann doch einen Tick zu versöhnlich, als dass die Kritik nachhaltig Wirkung zeigen könnte, denn zu schnell sind die Wunden dieses Abends vergessen und Macht der Liebe und Freundschaft triumphiert über diese dunkle Erinnerung.

Die Regisseure Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte halten der oberen Mittelschicht, dem Bildungsbürgertum Frankreichs den Spiegel vor. Jeder von ihnen belesen, politisch gebildet und doch so unfähig auf die Gefühle der Gesprächspartner Rücksicht zu nehmen. Und auch wenn einige Charaktere so ekelhaft selbstgerecht und abgehoben wirken, dass sie letztendlich nur noch als Karikatur ihrer selbst verstanden werden können, kommt die Kritik an. Leider schafft es „Der Vorname“ jedoch nicht durchweg den anfänglichen Biss der Dialoge zu halten und versucht diese Schwäche durch mehr oder weniger gelungene Wendungen und aberwitzige Enthüllungen zu kaschieren, die im Laufe des Abends aufgedeckt werden.

Dass der Film durchweg gut unterhält, liegt aber nicht nur an den scharfzüngigen Dialogen, sondern auch am wunderbar aufspielenden Ensemble. Wenn sich die Protagonisten erst einmal in ihre hitzigen Wort-Duelle hineinsteigern, wirken sie wirklich wie alte Freunde. Kein Wunder, denn Patrick Bruel, Valérie Benguigui, Guillaume De Tonquédec und Judith El Zein kennen sich bereits von der Theaterbühne, wo sie dieses Stück bereits x-Mal zusammen aufgeführt haben. Ganz besonders zu begeistern weiß Patrick Bruel als leicht rechts-konservativer Geschäftsmann Vincent. Wenn dieser verschmitzt lächelnd seine Gesprächspartner durch wohl gewählte Provokationen aus der Haut fahren lässt, bleibt sicherlich kein Auge trocken.

Fazit: „Der Vorname“ ist die französische Antwort auf Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels. Und auch wenn diese intelligente Komödie letztendlich deutlich versöhnlicher endet, werden Liebhaber bissiger Dialoge hier aus dem Lachen nicht mehr herauskommen.

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1 Comment

  • Tobi Koch

    Peinlich nur dass Polanskis „Gott des Gemetzels“ selbst auf einem französischen Theaterstück basiert, nämlich auf dem gleichnamigen Drama von der französischen Autorin Yasmina Reza.

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