Kritik: Beautiful Boy (US 2018)

Beautiful Boy 2018 Film Kritik Review

Do you know how much I love you? I love you more than everything.

Eigentlich hatte ich geplant, meine Gedanke zu den ersten Tagen beim BFI London Film Festival in einem Recap bestehend aus Kurzkritiken festzuhalten. Als ich zu schreiben anfing, merkte ich jedoch, dass es mir am Herzen liegt, erst einmal etwas zu dem diskussionswürdigen Drogenabhängigkeitsdrama Beautiful Boy zu Papier zu bringen, welches auf einer wahren Geschichte basiert und von David Sheff (Steve Carell) und seinem Sohn Nic (Timothée Chalamet) erzählt, deren Leben aufgrund von Nics stetig zunehmender Crystal Meth Sucht immer weiter entgleitet. Es gibt immer wieder Momente, in denen Nic den Drogen zu entfliehen versucht, doch er fällt immer wieder zurück und verfällt immer weiter seiner Sucht – ein Teufelskreis. Sein Vater gibt sein Bestes, probiert alles Erdenkbare aus, um seinem Sohn, den er über alles liebt, aus seiner Misere zu helfen. Der enervierende Prozess und der mentale Preis, den die Besserung und das dauerhafte Wohlergehen seines Sohnes auf sich nehmen, lassen ihn jedoch immer mehr daran zweifeln, ob er seinem Sohn überhaupt helfen kann oder ob er ihn nicht einfach besser sich selbst überlassen muss.

Gefühlt jeder schaut aktuell dabei zu, welches Filmprojekt Shooting-Star Timothée Chalamet als nächstes im Programm hat. Auch in zweien meiner Lieblingsfilme des Jahres, Call Me By Your Name und Lady Bird, ist er mit von der Partie. Und insbesondere seine Darstellung im erst genannten, als zu sich selbst findender Elio, ist eine schauspielerische Glanzleistung gewesen, die Timothée Chalamet prompt eine Oscar-Nominierung als bester Schauspieler bescherte.

Sein außergewöhnliches Talent stellt er nun erneut in Beautiful Boy, an der Seite von dem ebenfalls großartigen Steve Carell, mit einer erschreckend-authentischen Verkörperung des jungen Crystal Meth Süchtigen unter Beweis. So lebt der Film auch hauptsächlich von seinem Ensemble, welches bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt ist und somit gelungen gefühlvoll, nuanciert und klischeefrei die familiären und inneren Konflikten Nics und seines Umfelds widerspiegelt.

Gekonnt schildert der belgische Regisseur Felix von Groeningen hierbei die langwierigen Prozesse eines Drogenentzugs – dass allein Hilfe von außen nicht genügt, sondern auch Selbsthilfe ihren Anteil am Heilungsprozess haben muss und dass eine Besserung nicht einfach so von heute auf morgen eintritt. Es werden keine besserwisserischen, angeblich allgemeingültigen und erfahrungsgemäß klugen Besserungswege vorgeschlagen, wie es zumeist in Drogendramen der Fall ist. Stattdessen wird in aller Eindringlichkeit der medizinische und soziale Umgang mit speziell einer Sucht thematisiert und äußerst differenziert (und deshalb auch hoffnungsvoll) behandelt.

Das klingt nun alles danach, als ob Beautiful Boy einer der besten Filme des Jahres ist. Des ist leider nicht ganz der Fall. Einerseits nämlich sind die Szenenwechsel – zwischen den Rückblicken in die Vergangenheit, in denen das Vater-Kind-Verhältnis teils zu perfekt dargestellt wird und die zu wenig Reibungsfläche bezüglich dessen bieten, was David bei der Erziehung seines Sohns hätte anders machen können, und der Gegenwart, in der David verzweifelt versucht Nic aus der Drogensucht zu holen und gerade dabei dann nicht angemessen die mit seinem Sohn verbrachten Jahre hinterfragt – optimierbar. Zwar umgeht Beautiful Boy erfreulicherweise gekonnt die typischen Fallen und Klischees des Drogenfilms, doch wäre gerade eine noch akribischere Auseinandersetzung mit dem Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart in der Erziehung essenziell gewesen, um der ganzen Geschichte noch mehr Brisanz und Tiefe zu verleihen.

Andererseits fühlt sich Regisseur Felix von Groeningen, wie schon in seinen bisherigen Filmen (ganz besonders bei The Broken Circle Breakdown war dies ein großer Schwachpunkt), erneut dazu verleitet, gelegentlich mit der Filmmusik zu dick aufzutragen und damit der ein oder anderen Szene ihre subtile Durchschlagskraft zu rauben.

Fazit: Beautiful Boy ist kein rundum gelungener Film, doch Regisseur Felix van Groeningen erfasst gekonnt die Komplikationen, welche ein Drogenabsturz und die damit verbundene Rehabilitierung mit sich bringen. Vor allen Dingen ist ihm mit dieser Vater-Sohn-Geschichte, insbesondere aufgrund seines talentiertes Casts, sein bisher reifstes und damit sehenswertestes Drama gelungen.

Beautiful Boy startet am 24. Januar 2019 deutschlandweit in den Kinos.

-gesehen im Rahmen des BFI London Film Festivals 2018-

1 Comment

  • Heide Limpert

    Ja, die Filmmusik war an einigen Stellen überzogen drastisch – ging zu Lasten der beiden Protagonisten. Eigene Gefühle können sich nicht entwickeln, ich fühlte mich durch die Musik „bevormundet“ , wie ich jetzt an dieser Stelle zu empfinden habe. Wieder einmal eine brillante Vorstellung von Thimothee Chalamet, allerdings als Drogensüchtiger ist er vielleicht doch zu schön. Viele Passagen des Films sind langatmig, ohne näheren Inhalt. Schade. Steve Carell hat eine schauspielerische Blässe, hier fehlte mir die Vielschichtigkeit in seiner Vaterrolle. Sehenswert, ganz sicher. Wer Hintergründe darüber erwartet, wie es zu der Drogensucht des Sohnes kam, wird enttäuscht. Die Perspektive ist: Was macht es mit der Familie, wie sehr sprengt es den Rahmen eines Familienverbandes. Mehr „Stille“ hätte den Film in seinen Aussagen unterstützt.

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