"Chronicle – Wozu bist du fähig?" (USA, UK 2012) Kritik – Superhelden: Menschen wie du und ich

“Andrew, don’t fart, we’ll never find you again!”

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Zwei Filmgenres haben in Hollywood momentan Hochkonjunktur, zum einen Comicverfilmungen und zum anderen sogenannte Found-Footage-Filme. Letztere, die seit dem 1999 erschienenen „Blair Witch Projekt“ auch im Mainstream angekommen sind und spätestens seit dem Erfolg der „Paranormal Activity“-Reihe auch Produzentenherzen wieder höher schlagen lassen, versuchen durch verwackelte Handkameraaufnahmen einen hohen Grad an Authentizität zu erzeugen, was im besonderen Maße als spannungsförderndes Mittel in Horrorfilmen eingesetzt werden kann. Doch inzwischen sind die Tage, an denen Found-Footage alleine im Horrorgenre zu finden ist, längst gezählt, denn Hollywoods Produzenten haben begriffen, wie viel Geld auch in anderen Genres mit den verwackelten Kameraaufnahmen zu machen ist, und so können wir demnächst nicht nur sturzbesoffenen Halbgewalkten beim Komasaufen in „Projekt X“ über die Schultern schauen, sondern dank Josh Tranks („The Kill Point“) „Chronicle“ auch den Werdegang eines waschechten Superhelden aus nächster Nähe miterleben. Leider wird der in den USA gefeierte „Chronicle – Wozu bist du fähig?“ seinen Vorschusslorbeeren nur selten gerecht, denn zumeist verläuft der Found-Footage-Superheldenfilm in vorhersehbaren Mustern, die jedem, der schon einmal ein Comicheft durchgeblättert hat, nur allzu bekannt vorkommen sollten.

Der Teenager Andrew (Dane DeHaan) ist der absolute Außenseiter an seiner Schule und verbringt die meiste Zeit allein. Als er jedoch gemeinsam mit seinem Cousin Matt (Alex Russell) und dessen Kumpel Steve (Michael B. Jordan) eine ungewöhnliche Entdeckung macht, ändern sich die Dinge abrupt für ihn. Auf einem Feld entdecken die drei Jungen ein riesiges Loch, indem sie auf einen Kometen stoßen, der ihnen übermenschliche Kräfte verleiht. Anfangs kann es keiner der Teenager so richtig glauben und gemeinsam beginnen sie die Grenzen ihrer Fähigkeiten zu erforschen. Doch als einer der Drei beginnt, seine Kräfte zu missbrauchen, wird aus anfänglichem Spaß plötzlich bitterer Ernst.

„Chronicle“ hat bisher weltweit satte 120 Millionen Dollar eingespielt, bei Produktionskosten von gerade einmal 12 Millionen Dollar ein satter Erfolg für alle Beteiligten. Doch was ist das Erfolgsgeheimnis von „Chronicle“? Die verwackelte Kameraführung? Sicher nicht, denn diese ist inzwischen ein alter Hut und lockt allein höchstens noch Genrefreunde ins Kino. Auch storytechnisch hat „Chronicle“ wenig zu bieten und bedient sich munter an den klassischen Themen der Comicliteratur. Einen echten Glücksgriff hat Regisseur Josh Trank jedoch mit der Wahl seiner Schauspieler gelandet, so wirken seine drei Jungschauspieler Dane DeHaan („True Blood“), Alex Russell („Bait“) und Michael B. Jordan („The Wire“) allesamt spielfreudig, frisch und angenehm authentisch. Besonders die Szenen, in denen sie beginnen die Grenzen ihre Fähigkeiten auszutesten, sind ein wahres Gag-Feuerwerk und können ein wenig für die zähe zweite Hälfte des Films entschädigen.

Zäh zieht sich die zweite Hälfte des Films, was einem bei der knapp bemessenen Spielzeit von 84 Minuten zu denken geben sollte, und schafft es trotz einiger dramatischen Augenblicke nicht, den Zuschauer wirklich zu fesseln. Dies könnte in erster Linie daran liegen, dass man mit dem von Dane DeHaan hervorragend gespielten Andrew Detmer ausgerechnet den Charakter in den Mittelpunkt gestellt hat, der dem Zuschauer am wenigsten Raum zur Identifikation bietet. Zu eigenwillig und stellenweise fast schon unheimlich benimmt sich der Kamerafetischist Andrew, als das man nicht verstehen könnte, warum gerade dieser Teenager der Außenseiter schlechthin an seiner Schule ist. Wenn er dann schlussendlich dem Wahnsinn verfällt, über natürlich Auslese philosophiert und beginnt, seine dunkle und sadistische Seite zu entdecken, macht ihn das zwar zu einem interessanten Charakter, jedoch aber nicht gerade zu einer Identifikationsfigur.

Eine andere Schwierigkeit ist die zwingend erforderliche Anwesenheit einer Handkamera in den einzelnen Szenen. Das ist kein Problem, solange Kamerafreak Andrew in die Szenen integriert ist, denn dieser lernt schnell seine Kamera mit Hilfe seiner übermenschlichen Kräfte zu kontrollieren und ermöglicht somit dem Regisseur auch Aufnahmen abseits der sonst üblichen Wackelkamera-Einstellungen. Sofern aber Andrew mal nicht in einer Szene zu sehen ist, übernimmt die Bloggerin Casey (Ashley Hinshaw), die zufällig auch sämtliche Nichtigkeiten ihres Lebens mit einer Videokamera aufzeichnet, dessen Funktion. Diese Lösung wirkt nicht nur plump, sondern sorgt stellenweise (während des finalen Showdowns) auch für unfreiwillig komische Momente. Dennoch bleibt positiv anzumerken, dass in „Chronicle“ nicht stur darauf bestanden wurde, das Geschehen nur durch eine Kamera zu verfolgen. Besonders im letzten Drittel des Films werden vermehrt Aufnahmen von anderen Kameratypen, zum Beispiel einer Handykamera oder einer Überwachungskamera, eingestreut.

Fazit: Trotz vieler Schwächen ist „Chronicle – Wozu bist du fähig?“ kein Totalausfall. Gut aufgelegte Jungschauspieler und die äußerst knappe Spieldauer von 84 Minuten retten den Film letztendlich doch noch in die Mittelmäßigkeit. Bleibt zu hoffen, dass die Schwächen in dem bereits angekündigten „Chronicle 2“ ausgemerzt werden können, ob es sich dann wieder um einen Found-Footage-Film handeln wird, bleibt abzuwarten.

Bewertung: 5/10 Sternen

4 Comments

  • Ach, ich fand ihn tatsächlich gar nicht so schlecht, mir war halt die Erklärung über Andrews Aussetzer so vollkommen klischeelastig, klar, Außenseiter, schwierige Kindheit, ungeliebt und gemobbt – die logische Schlussfolgerung also im Film, dass er mit den Kräften nicht umgehen kann. Das fand ich etwas ärgerlich.

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