"Dallas Buyers Club" (USA 2013) Kritik – Matthew McConaughey ist endlich in der Filmwelt angekommen

Autor: Pascal Reis

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“That shit is purer than a preacher daughter’s pussy, right there.”

Es gibt ja immer wieder diese ganz bestimmte Art von Schauspielern, denen man einfach keinen seriösen Karriereverlauf zutrauen möchte. Grund dafür ist die in den meisten Fällen wirklich grauenhafte Rollenauswahl, die sich beinahe gänzlich auf die immer selbe Figurenzeichnung beschränkt. Einer dieser eigentlich unbrauchbaren Darsteller war bis vor einigen Jahren auch Matthew McConaughey, der sich als braungebrannter Frauenschwarm von einer seichten RomCom zur nächsten Schmonzette durchschlug und, so hatte man jedenfalls den Eindruck, einzig wegen seines konvergenten Aussehens gebucht wurde – Von echtem Talent war lange Zeit wenig bis gar nichts vorhanden. Aber wie es eben der Lauf der Dinge nun mal mit sich bringt, kommt im Leben eines Künstlers auch einmal der Punkt, an dem man sich auch gerne für ein Publikum attraktiv machen würde, welches nicht unbedingt nur der Konstitution des 08/15-Konsumenten entspricht. Und Matthew McConaughey ist dieser wahrhaft eklatante Imagewechsel mehr als nur geglückt und lässt zu Worten hinreißen, die bis vor einigen Jahren noch unglaublich erschienen: Dieser Mann ist zu hervorragenden Leistungen in der Lage.

Seine Performance des Rodeoreiters und Aids-Opfers Ron Woodroof in „Dallas Buyers Club“ hat ja bereits im Vorfeld viel Aufmerksamkeit zugesprochen bekommen und durfte auch vollkommen zu Recht jede Menge Lobpreisung erfahren. Um sich allerdings in eine solche Persönlichkeit einleben zu können, benötigt es nicht nur den obligatorischen „Mut zur Hässlichkeit“, es fordert auch nach einer versierten Bandbreite an glaubhaften Emotionen. McConaughey schafft es mit hingebungsvoller Vielseitigkeit, den Leidensweg von Ron Woodroof greifbar zu machen und hat es sich auch gleichzeitig nicht nehmen lassen, 25 Kilogramm seines Körpergewichts abzulegen. Von narzisstischer Eitelkeit ist hier keine Spur mehr, seine zielstrebige Konsequenz verfolgt aber nie den Zweck, um von seiner – womöglich – eher unqualifizierten Schauspielkunst abzulenken, es unterstützt seine hervorragende Darbietung nur umso extremer. Bereits seine erste Szene, in der er in einem Schlupfwinkel unterhalb der Tribüne mit zwei jungen Frauen sein schnelles Sexleben keuchend, schnaubend und mit einer solchen Auslaugung in den Gesichtszügen pflegt, gewinnt schnell das Gefühl, der Texaner ist vollends mit seiner schwierigen Rolle verschmolzen.

Die Gefahr, die von „Dallas Buyers Club“ ausging, war in erster Linie die, dass der franko-kanadische Regisseur Jean-Marc Vallée die Geschichte um den um sein Leben kämpfenden Ron Woodroof nur als nur handelsübliche Oscarware von der Stange verkaufen möchte, um seinen und den Marktwerk seiner Darsteller in die Höhe steigen zu lassen. Bei einer derartigen Thematik ist eine solche Vermutung natürlich keine abstruse Undenkbarkeit. Allerdings kann Entwarnung gegeben werden, denn Vallée zaubert aus der Drehbuchvorlage von Craig Borten und Melisa Wallack keinesfalls nur dumpfe Manipulation, die ordentlich auf die Tränendrüse drückt und irgendwann einzig und allein die überzogene Melodramatik in den Vordergrund stellt. „Dallas Buyers Club“ ist allen Unkenrufen zum Trotz durchgehend authentisches, intensives und ohne despektierliche Zwischentöne erzähltes Charakter-Kino, in dem ganz allein die wunderbaren Schauspieler regieren. Und damit ist nicht nur Matthew McConaughey gemeint, ein ebensolches Lob hat sich auch Jared Leto verdient, der als Transsexueller Rayon durch seine subtilen Auftritte McConaughey erst wirklich erstrahlen lässt.

Die Geschichte ist wenig originell und in ihrer eigentlichen Dramaturgie relativ gewöhnlich vollstreckt, wer also Überraschungen im Handlungsverlauf erwarten sollte, der hat dann doch die falsche Wahl mit „Dallas Buyers Club“ getroffen. Vallée aber benötigt keinen Sturmlauf der kreativen Sperenzchen und billigen Taschenspielertricks, um seinem Publikum dadurch irgendetwas zu beweisen, er kann sich ganz auf seine handfeste und angenehm geerdete Intention verlassen, die sich die unverstellte Echtheit zur wuchtigen Prämisse gemacht hat und aus den Charakteren eine emotionale Tiefe zieht, die berührt, die unterhält, die zwei Stunden lang nicht locker lassen möchte. „Dallas Buyers Club“ ist aber nicht nur ein nuanciert gezeichnetes Charakterportrait. Vallée inszeniert auch ein Zeitdokument, in dem sich der HIV-Virus noch als „Schwulenseuche“ bezeichnen lassen musste und, so der Volksglaube, für Heterosexuelle keinerlei Gefahr darstellte. Der Einklang dieser beiden Aspekte führt zu einer symbiotischen Wirkung, dessen emphatische Ehrlichkeit oftmals nur Entsetzen bedingt der unermesslichen Blindheit freisetzt. Ron war selber, wie es sich für einen echten Texaner nun mal so geziemt, ein Homophob, doch er weiß sein Menschenbild zu verändern, weil auch er sich zwangsweise durch seine Erkrankung verändern muss.

Ein Macho bleibt dieser affektive Ron natürlich trotzdem und seine Entscheidungen und Verhaltensweisen sind nicht immer zu unterstützen, doch sein Feldzug gegen die nationale Pharmaindustrie, die ihm und seinen Leidensgenossen Medikamente verschreibt, die nicht für eine erkennbare Besserung sorgen, sondern den Zustand nachhaltig verschlechtern, lässt nicht grundlos eine offensichtliche Kritik an sämtlichen Systemen Amerikas erkennen, deren Grundsätze von nutzlosen Gesetzen bestimmt wurden. Rons Wettlauf gegen sämtliche bürokratische Barrikaden hätte schnell dazu führen können, dass seine Person auf ein Podest gestellt und zum Übermenschen ernannt wird. „Dallas Buyers Club“ weiß diese Klischees aber zu umschiffen, weil Ron es nicht aus eigener Kraft geschafft hat, die ebenfalls Erkrankten durch seine importierten Medikamente zu unterstützen. Es war ein Unternehmen, in dem viele Zahnrädchen ineinander greifen mussten und in dem die Gemeinschaftlichkeit erst einen zählbaren Erfolg erbringen konnte. Nur – und das macht der Film zu jeder Zeit deutlich – erzielt dieser Auftrieb keine Genesung, es handelt sich nur um ein Herauszögern.

„Dallas Buyers Club“ ist weder Wohlfühlkino noch ist der Film darauf aus, den Zuschauer mit seiner Charaktertragik in ein tiefes Loch zu zerren und immer wieder vorzuführen, wie schrecklich die Ausmaße des HIV-Virus doch sind. Natürlich, beschönigt wird hier nichts und selbst die tapfersten Mitglieder des Clubs zweifeln, resignieren und sterben. Es kommt nur letzten Endes darauf an, dass diese Menschen versucht haben, sich nicht nur hilflos mit ihrem Schicksal zu arrangieren, sondern es akzeptieren und sich daraufhin dagegen aufgebäumt haben und zusammen einen neuen Lebenswillen entfachten, der aufzeigte, wie wertvoll es sein kann um seine Existenz zu kämpfen – selbst wenn das Gefecht längst verloren ist. Jean-Marc Vallée ist ein rauer, ein direkter, ein bitterer, aber in seiner Menschlichkeit auch bewegender Film gelungen, und was will „Dallas Buyers Club“ nun wirklich mehr erreichen?

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