Kritik: The World’s End (GB 2013)

Autor: Conrad Mildner

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„We wanna be free to do what we wanna do and we wanna get loaded and we wanna have a good time.“

Gary King (Simon Pegg) ist vierzig, aber nie erwachsen geworden. Vor zwanzig Jahren versuchten er und seine vier Freunde die Goldene Meile zu vollenden, eine berühmte Sauftour, die durch alle zwölf Pubs des beschaulichen Newton Havens führt. Die Gruppe scheiterte damals, was Gary dazu veranlasst es noch einmal zu probieren. Es gelingt ihm seine Freunde wieder zusammen zu trommeln, doch nicht nur die haben sich stark verändert, auch ihre Heimatstadt ist seltsamer als früher. Als sie hinter die Ursache kommen, haben sie es mit nichts geringerem als dem Ende der Welt zu tun.

Mit Evan Goldbergs und Seth Rogens „Das ist das Ende“ und Edgar Wrights „The World’s End“ kommen dieses Jahr zwei Filme in unsere Kinos, die auf den ersten Blick in scheinbarer Konkurrenz zueinander stehen. Bereits der Internet-Buzz suggeriert eine notwendige Gegenüberstellung beider Filme. Warum nicht? Es wird sich zeigen, dass sie nicht unterschiedlicher sein könnten, sich aber dafür umso schöner ergänzen. „Das ist das Ende“ ist ein bemerkenswerter Film, da er den guten Geschmack selbstsicher hinter sich lässt. Seine Meta-Figuren, die Stars verkörpern, die von sich selbst gespielt werden, liefern sich eine Pointenschlacht sondergleichen und zwischen Pipi-Kacka-Penis-Humor, derbem Splatter sowie biblischer Apokalypse wird reizend moralisch die Promiwelt hingerichtet. Das ist ein Film, der nichts ernst nimmt und sogar jeglichen Anfall seriöser Figurenentwicklung für den nächsten Gag ausschlachtet.

Edgar Wrights neuer Film und Abschluss seiner „Three Flavours of Cornetto“-Trilogy „The World’s End“ kann ohne Zweifel als Antithese zu „Das ist das Ende“ verstanden werden. Schon allein, weil er ein richtiger Sci-Fi-Film ist und keine pervertierte Bibel-Messe. Dazu kommt, dass er weitaus ernsthafter und emotionaler ist als seine beiden Vorgänger „Shaun of the Dead“ und „Hot Fuzz“. Es ist überraschenderweise nicht der Film, den alle erwartet haben; nicht das übliche Höher-Schneller-Weiter, der in den vorherigen Filmen erprobten Muster. „Shaun of the Dead“ und „Hot Fuzz“ waren selbstreferenzielle Genre-Filme, die sich stets auf ironische und gleichzeitig liebevolle Art mit dem eigenen filmischen Stammbaum auseinander gesetzt haben. „The World’s End“ ist ein Sci-Fi-Film ohne doppelten Boden und ist durchaus Teil eines typisch britischen Genre-Verständnisses.

Weder der Zombiefilm, noch das Buddy-Action-Kino haben eine weitreichende, britische Filmgeschichte. Der Reiz von „Shaun“ und „Hot Fuzz“ lag somit auch immer in der Verschmelzung gewohnt britischer und fremder, fiktionaler Topoi. Diese Synergie ermöglichte eine neue und witzige Sichtweise auf beide Seiten. Schade an „The World’s End“ ist, dass ihm diese Synergien fehlen. Zum einen, weil es dem Drehbuch nicht gelingt beide Welten organisch miteinander zu verschmelzen. Der Moment, wenn die Science Fiction in den Film bricht, kommt so unvorbereitet wie ein Faustschlag aus dem Nichts und lässt die Eleganz gut platzierter Anspielungen, wie sie noch bei „Shaun of the Dead“ der Fall waren, völlig vermissen. Am deutlichsten erinnert die völlig unironische Gegenüberstellung von Weltuntergang und Invasion mit dem englischen Alltag an ein Science-Fiction-Monument des britischen Fernsehens, nämlich die seit 1963 laufende Kult-Serie „Doctor Who“ in der ein außerirdischer, aber menschlich aussehender Timelord, der Doktor genannt, mithilfe einer Polizei-Telefonzelle durch Raum und Zeit reist. „Doctor Who“ ist eine äußerst softe Sci-Fi-Serie, die wissenschaftliche „Ungereimtheiten“ mit Charme und Fantasie ausgleicht und den Menschen als Individuum und Großbritannien an sich in das Zentrum des Universums rückt; eine Serie, die nur im Kontext des Vereinigten Königreichs funktioniert und eine einzigartige, wenn nicht sogar unnachahmliche Form von Science-Fiction formuliert. „The World’s End“ erinnert nicht von ungefähr an eine überlange Folge dieser Serie. Der Aufbau der Geschichte sowie einzelne Motive, wie z.B. die Robotermenschen und das Ende des Individualismus, haben sich Wright und Pegg direkt bei ihrem großen Vorbild abgeguckt.

So verwundert es auch nicht mehr, dass der Abschluss der Trilogie sein Genre weitaus ernster und heimischer adaptiert als die Vorgänger. Sowieso ist „The World’s End“, wie bereits erwähnt, weniger Komödie als Tragikomödie und fühlt sich deutlich stärker seinen Figuren verpflichtet als Wrights frühere Filme. Shaun und seine Beziehungs-/Lebensprobleme wurden mit eher grobem Pinsel gemalt und bereits schon ausführlicher in „Spaced“ beleuchtet. „Hot Fuzz“ vereinnahmte dagegen völlig die Archetypen seiner Genre-Vorbilder und war noch oberflächlicher im Umgang mit seinen Charakteren. „The World’s End“ geht da viel weiter. Wright und Pegg sind in ihrer Midlife-Crisis angekommen und werfen sie direkt auf die Leinwand. Sie versuchen ihr so viel Witz wie möglich abzuringen, aber die immanente Melancholie, die Traurigkeit darüber die Hälfte des Weges hinter sich zu haben und die damit einhergehende Nostalgie, lassen sich schwerlich verstecken.

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Simon Peggs Hauptfigur Gary King sehnt sich nach den alten Zeiten zurück und würde wohl am liebsten mit dem nächsten Doctor Who in die Vergangenheit reisen. Seine (ehemaligen) Freunde haben sich dagegen sehr verändert. Sie haben Familie, einen festen Job und neue Freunde. Sie haben sich „integriert“. Für die Einführung seiner Charaktere und der Spannungen zwischen ihnen lässt sich „The World’s End“ zu Beginn sehr viel Zeit. Es wirkt so als würde er deshalb den Einbruch der Science-Fiction so weit wie möglich hinauszögern. Leider gelingt es Wright nicht sein Ensemble ausgewogen aufzubauen. Besonders Martin Freeman und Paddy Considine bleiben flach, was wohl daran liegt, dass Wright und Pegg mit erfolgreichen Karrieremenschen noch nie etwas anfangen konnten. Wenigstens bekommt Considine den Love Interest des Films verpasst, wobei Rosamund Pike mit dieser Rolle sichtlich unterfordert ist. Umso besser ist Eddie Marsans Darstellung des vermeintlich schwächsten der Clique. Marsan, der in Considines „Tyrannosaur“ noch einen brutalen Ehemann spielte, verschwindet nun hinter der Fassade des Peter Page, der früher vom Bully der Schule erniedrigt wurde und seitdem sein ganzes Leben in ständiger Passivität verbringt. Marsans bewegender Monolog in der Mitte des Films gehört auch zu den Momenten, die in Edgar Wrights Filmografie bisher noch gefehlt haben.

Die eigentlichen Hauptfiguren des Films sind natürlich Pegg und Frost. Gary und Andy verbindet eine lange Freundschaft, die aber seit einem schrecklichen Ereignis zerbrochen ist. Der Verweis auf diesen „Unfall“ lässt das Publikum lange auf eine gut vorbereitete Pointe hoffen, nur um auf einem Schlag die schmerzhafte Tragweite dieser zerrissenen „Freundschaft“ begreifbar zu machen. Simon Pegg und Nick Frost sind spürbar reifer geworden und spielen so gut wie nie zuvor, eben auch weil der Film wirklich etwas zu erzählen hat und die Komödie sinnvoll in die zweite Reihe verweist. Edgar Wright, der ästhetisch schon als wahrer Nachfolger Alfred Hitchcocks gesehen werden kann, gibt sich nun auch noch als Actor’s Director zu erkennen.

Aber bleiben wir bei der Regie, die stilsicher und visuell rasant durch die Geschichte führt ohne ein Wort zu viel zu verlieren. Nach „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ hat Wright wieder mit Kameramann Bill Pope zusammengearbeitet und immer noch wird auf wunderschönem 35mm-Film gedreht. Edgar Wrights Filme sind audiovisuelle Gesamtkunstwerke, handwerklich makellos, klug und unterhaltsam. Die Musik in „The World’s End“ wechselt mühelos zwischen nostalgischem Synthie-Sci-Fi-Score und herrlich platzierten Rock- und Popsongs, deren Gleichklang mit Bild und Plot an die Kraft von Musicals erinnert. Wenn die Clique gerade herausgefunden hat, dass die Stadt von Robotern übernommen wurde und beschließt mit ihrer Sauftour weiterzumachen, nur um nicht aufzufallen, dann marschieren sie im Gleichschritt zum nächsten Pub und „Alabama Song“ von The Doors ertönt.

Gewohnt toll inszeniert, aber auch etwas fehl am Platz, sind die Kampfszenen gegen die Roboterhorden. Das Niveau von „Scott Pilgrim“ erreichen sie zu keiner Sekunde und nach dem x-ten Kampf ist es nur noch redundant. Zumal man sich fragen muss, wozu es diese Kämpfe überhaupt braucht. Dramaturgisch notwendig sind sie nämlich zu keiner Sekunde. Wahrscheinlich hatte Wright nach „Scott Pilgrim“ Blut geleckt und kommt nun nicht mehr ohne sie aus.

Wahrscheinlich muss man „The World’s End“ streng genommen als gescheiterten Abschluss der Trilogie betrachten. Wright und sein Team haben eine deutlich andere Richtung eingeschlagen, die außerhalb der Reihe leichter zu verkraften gewesen wäre und trotzdem ist „The World’s End“ gerade deswegen auch der komplexeste Film der Trilogie und ein logischer Schritt nach „Scott Pilgrim“. Seine Genreverweise fischen nicht nur in fremden Gewässern, von Don Siegels „Die Dämonischen“ bis John Carpenters „Sie Leben!“, sondern ebenso in den heimischen Tümpeln von „Doctor Who“. Die Figuren stehen im Mittelpunkt. Ihre innere Uhren beginnen lauter zu ticken. Unwiederbringliche Zeit ist vergangen und Veränderung ist ein unausweichlicher Prozess. Um sie herum lauert die Versuchung des Konformismus, der festen Alltagsstrukturen, die wie Möbius-Schleifen immer und immer wieder durchlaufen werden können. Zu Beginn des Films läuft der Song „Loaded“ von Primal Scream. Darin wird die Frage gestellt: „Just what is it, what you want to do?“ Und die Antwort lautet: „We wanna be free to do what we wanna do and we wanna get loaded and we wanna have a good time.“ Freiheit bleibt Privileg und Aufgabe. Garys Unfähigkeit sich anzupassen, eine Unart, die für die vier Freunde und auch das Publikum schwer auszuhalten ist, stellt sich im Laufe des Films als große Gabe heraus. Die Menschheit ist nicht perfekt, aber sie ist frei und wäre sie perfekt, wäre sie nicht frei. Das Ende der Welt, als Kollaps autoritärer Strukturen, erfährt ebenso eine positive Neudeutung. Das ist nicht das Ende. Es ist ein Neubeginn für die Menschheit und für Edgar Wrights Kino sowieso.

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