"Gloria" (CL/ES 2013) Kritik – Eine Frau geht ihren Weg

Autor: Florian Feick

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„Bist Du immer so fröhlich?“

Gloria: Ein Name, ein Körper, ein Lebensgefühl. Nach 57 Lebensjahren Jahren hat die alternde Chilenin bereits eine lange Ehe hinter sich und darf sich Großmutter rufen. Gefangen in einer Zeit des physischen Wandels, weder wirklich alt noch jung, muss sich Gloria entscheiden, was sie noch mit ihrem Leben anzufangen gedenkt.

Sinnliche Nahaufnahmen beherrschen das Bild. Die gesamte Geschichte wird aus der subjektiven Sichtweise der charismatischen Protagonistin (Paulina Garcia) erzählt. Von ihren nächtlichen Ausgehversuchen zu lokalen Single-Parties und dem berauschenden Gefühl eines unbekannten Liebhabers. Unverhüllte Körper, die totale Demaskierung einer alternden Generation von ehemaligen Weltverbesserern und Romantikern. Lügen sind nicht gestattet in dieser durch und durch intimen Szenerie, denn sie haben schon viel zu lange unsere Leben vergiftet und aus Liebe Leid werden lassen.

Immer wieder beobachten wir Gloria, wie sie in ihrem Auto voller Inbrunst kitschige Songs über ewige Liebe, schmerzhafte Trennungen und das wahre Glück der Beziehung trällert. Aber trotz ihrer leidenschaftlichen Gesangskunst vertritt sie selbst die Aussagen ihrer favorisierten Lieder nur zu einem geringen Teil. Ihre Männer hat sie am liebsten gefügig und unkompliziert, auf eine weitere eintönige Beziehung hat sie sichtlich keine Lust. Alles, was jetzt noch eine Rolle spielt, sind Harmonie, Glück und Frieden; und idealerweise ein Mann, mit dem sie diese Momente teilen kann.

Auf diesen trifft sie bald in Form des sieben Jahre älteren Rodolfos, welcher ebenfalls Vater und geschieden ist und der charmant und zuvorkommend zunächst die Vorzüge einer Beziehung symbolisiert. Spätestens als seine zwei unselbständigen Kinder jedoch ins Spiel kommen, schwenkt die Stimmung ihrer Beziehung komplett um. Erneut tappt sie in einem verworrenen Netz aus schmerzlichen Missverständnissen und Unwahrheiten. Schnell wird ihr bewusst, dass nur sie selbst sich aus dieser prekären Situation losreißen kann.

Sebastián Lelio, bekannt geworden durch sein Langspiel-Debüt „La Sagrada Familia“, zeichnet das persönliche Portrait einer Frau, deren emanzipierter Lebensstil weniger aus persönlicher Überzeugung heraus entsteht, sondern aus vollkommen simpler Präferenz, aus Selbstschutz. So lässt sich dann auch die komische Ambivalenz zwischen ihrem kulturellen Hintergrund und den tatsächlichen Handlungen erklären, die im Publikum für den einen oder anderen Schmunzler sorgen dürfte. Der von Gloria ausgelebte Feminismus widersetzt sich klar (und unbewusst) einer reinen Existenz um seiner Existenz Willen. Vielmehr erforscht Gloria – und mit ihr Lelio – eine ganz und gar pragmatische Unterform dieses großen Themas. Seine Heldin liebt das Leben, entdeckt auch noch in finsteren Stunden hell strahlende Hoffnungsschimmer, die es ihr, trotz aller Widrigkeiten, lebenswert machen. Dank medizinischer Fortschritte sind wir alle schon lange nicht mehr dazu verdammt, ab einem gewissen Alter den Großteil unserer Tage in der Wohnung und beim Arzt zu versauern. Wir sind dazu befähigt, unsere oft komplizierten Leben selbst in die Hand zu nehmen und auch den Spaß an der Liebe nicht gänzlich zu vergessen.

Sämtliche Figuren in „Gloria“ sind mit einer verhältnismäßig vielschichtigen Figurenzeichnung versehen, die sich auf neue Pfade fernab standardisierter Versatzstücke begibt. Lelios Charaktere sind lediglich Produkte ihrer Umwelt und Vergangenheit, vom Leben gezeichnet, aber selten davon gebrochen. Somit reiht sich „Gloria“ klar in die Reihe der Feel-Good-Movies ein, hält trotz all der verspielten Freude aber immer noch ernstere Untertöne und viel Weisheit parat, ohne sie dem Zuschauer allerdings allzu plakativ auf die Nase zu binden. Unsere Gesellschaft braucht mehr Filme wie diesen.

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