Kritik: The Northman (USA 2022)

Eine Gastkritik von Sascha Böß

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© Universal Pictures International

Always live without fear, for your fate is set and you cannot escape it!

Wikinger sind seit etwa zehn Jahren ein sehr beliebtes Phänomen in unserer zeitgenössischen Pop-Kultur. Zwar gab es schon früher mit Die Wikinger (1958), Der 13te Krieger (1999) und dem zu Unrecht erfolglosen Valhalla Rising (2009) größere Wikingerfilme, aber erst mit der Serie Vikings (2013 – 2021) kann man von einem richtigen Hype sprechen, der u.a. auch mit Assassin’s Creed Valhalla* und God of War* in die populäre Spielwelt vorgedrungen ist.

Nun hat sich auch der US-amerikanische Filmregisseur Robert Eggers dieser Thematik bedient. Dieser ist bei Cineasten und Indie-Filmliebhabern beliebt für seine bisherigen Filme The Witch (2015) und Der Leuchtturm* (2019), in denen er Historisches mit Okkultem auf filmisch sehr außergewöhnliche Weise verbindet.

Bei all seinen Filmen betreibt Robert Eggers historische Nachforschungen, liest sich tief in die Materie ein und lässt sich von mehreren Experten beraten. In diesem Fall u.a. vom renommierten Archäologen Neil Price, der sich auf Wikinger und den Schamanismus spezialisiert hat. Und so ist The Northman, obwohl es viel eher ein stark mythologischer Rachethriller als eine Geschichtsnachhilfe ist, der mit Abstand an Historizität realistischste Wikingerfilm – von Kleidung über Rüstungen bis zu Riten. Vor allem bei letzterem sticht The Northman hervor, da sonstige Filme und Serien bisher nie so tief in die nordische Mythologie und deren Rituale eingetaucht sind. Aus der Sicht eines Historikers könnte man allein die allgemeine Farblosigkeit des Films bemängeln, der den meisten Filmen zuteil ist, die im Mittelalter spielen. Diese Kälte ist aber in diesem Fall auch Stil des Regisseurs. Man kann dankbar sein, dass Robert Eggers diesen Film nicht, wie Der Leuchtturm, ganz in Schwarz-Weiß gedreht hat.

Es gibt aber einen großen Unterschied zu seinen vorherigen beiden Filmen: Diesmal drehte Robert Eggers nicht für das Independent-Filmstudio A24, sondern für das viel größere Universal Pictures. Dies ermöglichte es ihm wohl auch, ein Filmbudget von 90 Millionen Dollar zu erhalten, also sechs mal so viel, wie seine beiden vorherigen Filme zusammen gekostet haben. Nun könnte man Befürchtungen haben, Robert Eggers hätte seine Seele für das große Filmstudio verkauft. Hier kann man aber Entwarnung geben. Robert Eggers bleibt seinem Stil treu und The Northman trägt eindeutig seine Handschrift. Inwieweit das Studio natürlich in seine künstlerischen Freiheiten eingegriffen hat, lässt sich natürlich nicht sagen. In einem Interview behauptet Robert Eggers, es hätte lediglich Kompromisse beim Zeigen von männlichen Geschlechtsteilen gegeben, damit der Film auch in anderen Ländern wie China gezeigt werden kann. Audiovisuell sieht und hört man dem Film seine hohen Produktionskosten an. Kameraarbeit, Musik und Sounddesign sind auf höchstem Niveau, auch wenn man hier nichts Revolutionäres zu erwarten hat. Gedreht wurde vor allem in Island, durch Corona bedingt teilweise auch in Irland mit späterer digitaler Nachbearbeitung.

Die Handlung ist schnell umrissen: Im Jahre 895 n. Chr. soll der junge Amleth (später als Erwachsener gespielt von Alexander Skarsgård) seinem Vater, dem Wikinger König Aurvandil (Ethan Hawke) auf den Thron eines kleines Reiches folgen. Doch dieser König, wird von seinem eigenen Bruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet, um dessen Thron und Königreich an sich zu reisen. Der junge Amleth muss fliehen und sinnt auf Rache. Der Stoff dieser Geschichte basiert auf der altdänischen Amletus-Sage, wovon sich William Shakespeare für seinen Hamlet inspirieren lassen hat.

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© Universal Pictures International

Getrieben an die Tore zur Hölle

Wir folgen dem auf Vergeltung sinnenden Amleth über zwei Stunden lang in seinem Wahnsinn durch Blut, Dreck und Schlamm. „Nun siehst du die Welt mit den Augen eines Mannes“ hatte sein Vater Amleth kurz vor seinem Tod verkündet. Diese Kamera nimmt die Rolle seiner vermeintlich männlichen Augen ganz ein. Sie folgt unserer Hauptfigur auf Schritt und Tritt und lässt keine Distanz zu. Die Kamera lässt sich wie Amleth ganz und gar durch den Hass und Fanatismus gefangen nehmen. Dabei ist das große Problem, dass das Motiv der Rache den Zuschauer selbst nicht lang genug trägt. Bei mir war der Zeitpunkt bereits nach 20 Minuten erreicht, an dem ich dem irren Blutrausch unseres „Helden“ nur noch verständnislos und kopfschüttelnd folgen konnte.

Dabei glaubt Amleth selbst wohl nicht zu jedem Zeitpunkt an seinen Racheplan. Nach längerer Zeit des Verdrängens und Vergessens musste er erst wieder durch eine Norne (eine schicksalbestimmende Figur aus der nordischen Mythologie) dazu gebracht werden, diesen mörderischen Plan zu verfolgen. Er hätte eine Prophezeiung zu erfüllen. Im Nachfolgenden werden dann sämtliche verübten Gräueltaten mit dieser Prophezeiung, welche die Nornen gesponnen haben, gerechtfertigt. All das ist äußerst deterministisch und es scheint für niemanden einen Ausweg aus diesem Kreislauf aus Gewalt und Rache zu geben. Amleth agiert hier zu keinem Zeitpunkt als autonome Person, er bleibt immer ein Getriebener. Bei Unklarheiten wendet er sich stets an Nornen und Hexen und lässt sich sein weiteres Vorgehen vorschreiben. Die Hauptfigur des Filmes wird manipuliert und ist nicht der Herr der eigenen Geschichte, auch wenn die Kamera uns das glauben lassen will. Das Bild des Heldens ist hier ein ganz voraufklärerisches, ein wirklich stumpfes und ganz und gar primitives.

Kurz vor Schluss gäbe es für den Film die Möglichkeit, dieses Gesetz der stumpfen Gewalt zu brechen und auf den letzten Metern das Motiv der Rache und der primitiven Männlichkeit zu dekonstruieren: Es gäbe für Amleth eine Möglichkeit, dem Irrsinn zu entfliehen, sich aus dem verhängnisvollen Netz der Nornen zu befreien. Aber der Film verbittet Amleth diese Entscheidung. „Nur Narren versuchen dem Schicksal zu entfliehen“. Und weil wir keine Narren sein dürfen, müssen wir als Zuschauer dem Wahnsinn noch bis ans bittere, feurige Ende beiwohnen. Die hier und dort etwas eingefädelte Liebesgeschichte berührt einen zudem überhaupt nicht. Sie ist wenig glaubhaft und wahre Emotionen vermag dieser düstere, kalte Film nicht hervorzubringen.

Da die Gewalt auf brutalste Weise nun auch in unsere reale Welt eingedrungen ist, kommen wir nicht herum diesen Film unter dem Einfluss der derzeitigen politischen Weltlage zu betrachten. Die Lehre, die wir aus dem Film ziehen müssen: Lassen wir uns nicht durch ein vermeintlich vorgegebenes Schicksal leiten, auch wenn die Lage ausweg- und alternativlos erscheint. Ja, lasst uns im Zweifel Narren sein. Wir sollten das Rad der Gewalt und der Rache brechen, sobald auch nur die kleinste Möglichkeit dazu besteht. Sollte uns dies nicht gelingen, hinterlassen wir, wie im Film, nur verbrannte Erde und schlagen die letzte Schlacht vor den Toren der (atomaren) Hölle, wobei es nur Verlierer geben kann. Wir müssen achtgeben, dass wir uns nicht von unseren heutigen Nornen verzaubern lassen und uns auf einen brutalen und blutigen Weg begeben, bei dem es ab einem bestimmten Punkt kein Zurück mehr geben kann. Denn uns erwartet keine Walküre mehr und die Tore von Walhalla sind, im Gegensatz zur Hölle, längst verschlossen.

Hier geht es zum Trailer auf Youtube.

The Northman startet am 21. April 2022 deutschlandweit in den Kinos. Ab dem 7. Juli 2022 ist der Film dann bereits für das Heimkino erhältlich.*

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1 Comment

  • Joshua Franz

    Alles richtig und gut geschrieben.
    Deine Feststellungen hatten mich zu der Frage geführt, warum das alles?
    Robert Eggers nimmt die Religion, die Mythologie und die Traditionen ernst.
    Stets reflektiert und kritisch aber konsequent zuende gedacht. Deswegen dekonstruiert die gemeinte Szene auch nicht das Genre sonder führt die Geschichte konsequent zuende.
    Ob das den Film zu einem guten Film macht lässt sich diskutieren aber ein sehenswerter Film ist es.

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