Kritik: Die Legende der Prinzessin Kaguya (JP 2013)

© Universum Filmverleih
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In the end it’s not all good, but if one chooses to live, it is necessary to have hope. It is the only way of living. That is my message, and I hope that my films contribute to that message!
– Isao Takahata

Eigentlich gibt es genügend Gründe für deutsche Ghibli-Fans beherzt zum Sake zugreifen und anzustoßen, schaffte es doch nicht nur „Wie der Wind sich hebt“, der aktuelle Film von Altmeister Hayao Miyazaki, sondern nun auch die lang erwartete Märchenadaption „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ von Ghibli-Urgestein Isao Takahata (u.a. „Die letzten Glühwürmchen“) auf unsere Leinwände. Da der asiatische Film in den letzten Jahren vornehmlich außerhalb deutscher Kinos stattfand, gleicht es einem Wunder wie viele interessante und nicht unbedingt massenkompatible Produktionen es dieses Jahr zu uns geschafft haben.

Dennoch überwiegt die Wehmut beim Gedanken an Japans traditionsreichem Animationsstudio Ghibli, denn Direktor Toshio Suzuki verkündete erst vor ein paar Monaten den Ausstieg aus dem Kinobetrieb. Aus der laufenden Kreativschmiede soll ein Museum werden. Miyazaki selbst verkündete gar bei den diesjährigen Governor’s Awards in Los Angeles das Ende von „Bleistift, Papier und Film“ und sein letzter Anime machte auch allen Anschein als Vermächtnis zu fungieren. Ja, auch der 79 jährige Isao Takahata, der immer ein wenig im Schatten des großen Fantasten und Oscar-Preisträgers Miyazaki stand, will (vorerst) in den Ruhestand gehen. Auf der anderen Seite gäbe es für ihn auch kein besseres Abschlusswerk als „Die Legende der Prinzessin Kaguya“.

„Die Geschichte des Bambus-Sammlers“ ist eines der ältesten und populärsten Märchen Japans. Ein alter Bambus-Sammler entdeckt in einer glühenden Knospe eine kleine, schlafende Prinzessin. Als er die daumengroße Schönheit seiner Frau zeigen will, verwandelt sie sich in ein Baby. Das Paar beschließt das Kind aufzuziehen. Sie nennen es Kaguya. Als der Mann noch weitere Schätze vom Himmel geschenkt bekommt, baut er seiner noch jungen Prinzessin einen Palast in der Stadt. Die vorher im Schutz der Natur aufgewachsene Kaguya empfindet ihr neues, adeliges Leben allerdings zunehmend als Isolation.

Abgesehen von Miyazakis düsterer Prophezeiung ist der Anime, schon allein als Marke, so eng mit dem Zeichentrick verbunden, dass ein schneller Wechsel, wie z.B. in den USA, zur 3D-Computeranimation schwer vorstellbar ist. Wie sollten die strähnigen Haare und großen Manga-Augen im Pixar-Look denn aussehen? Auch wenn es den ein oder anderen CGI-Anime gibt, bleibt die japanische Trickfilmkunst vorerst ein Hort augenscheinlich handgezeichneter Animation. „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ geht ästhetisch noch einen Schritt weiter (zurück), da der ganze Film im Stil klassischer, japanischer Bildrollen (Chōjū-jinbutsu-giga) gezeichnet wurde. Zwar entsteht heutzutage kein Zeichentrickfilm mehr ohne die Hilfe des Computers, aber Takahatas Film lässt die Epoche seiner Erzählung so grandios in der Form widerhallen, dass unsere Rechenmaschinen wieder zu einer fernen Erinnerung der Zukunft werden, zumindest während der üppigen und für Animationsfilme ungewöhnlichen Laufzeit von 140 Minuten, die allerdings zu keiner Sekunde langweilig werden.

Dafür ist Takahata ein viel zu versierter Erzähler. Schnell wird deutlich, dass „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ keine bloße Märchenerzählung für Kinder ist, sondern ein reich bestückter Parabelraum, in dem gekonnt die Fäden zwischen damals und heute, Fantasie und Wirklichkeit gezogen sind. Takahatas Filme sind immer durch die Animation verfremdete Perspektiven des realen Japans. Ob nun im überaus durchgedrehten „Pom Poko“ über eine Horde magischer Marderhunde (mit durchweg großen, sichtbaren Genitalien), die sich gegen die Expansion Tokios wehren, oder dem melancholischen „Tränen der Erinnerung“, in dem eine junge Frau ihre Kindheit in den 60er Jahren rekapituliert, die Animation dient nie dem reinen Eskapismus. Sie schärft den Blick.

„Die Legende der Prinzessin Kaguya“ kann als perfektes Abschlusswerk gelesen werden, weil hier alle Topoi Takahatas eine stimmige Synthese erfahren. Beginnend im frühen Japan als reizend sinnliche Naturerzählung inszeniert, in der ein Kleinkind lernt die ersten Schritte zu gehen und die Welt um sich herum zu entdecken, wandelt sich der Film leise in ein beißendes Porträt des damaligen Feudalismus. Wie schon in „Die letzten Glühwürmchen“ und „Tränen der Erinnerung“ wird das kindliche Paradies vom menschengeschaffenen Kulturapparat ausgelöscht.

Die junge Kaguya soll lernen sich wie eine Prinzessin zu benehmen. Ihre Zähne soll sie schwarz schminken. Den Männern soll sie ein Mysterium sein. Sie wird zu einem Gegenstand degradiert. So wie alles natürlich lebende durch Menschenhand nur zu einem toten Gegenstand werden kann. Als letztes Refugium baut sich Kaguya einen kleinen Garten im Hinterhof des Palasts, der aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet wie ihr altes Zuhause auf dem Land aussieht. In einer der berührendsten Szenen wird ihr allerdings bewusst, dass auch dies nur eine leblose Miniatur, ein toter Gegenstand ist, der niemals die Wirklichkeit ersetzen kann. Sie lebt in einer Kulturillusion, aus der sie letztendlich nur ihr Vater, der Mond selbst, befreien kann, aber auch das hat seinen Preis. So wie die Vorstellung einer Welt ohne weiterer Ghibli-Filme: Schmerzhaft, aber zumindest kann man sich dieses Meisterwerk immer und immer wieder ansehen.

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