Kritik: Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis (USA 2014)

Eine Gastkritik von Sebastian Groß

Nightcrawler 2014

You have to call the cops. – And we will, at the right time.

Tony Gilroy bewies 2007 mit seinem Regiedebüt ein gutes Gespür für eine tolle Geschichte, grandiose Darsteller und eine fesselnde Inszenierung. Ob Dan Gilroy mit Nightcrawler ebenfalls solch ein grandioses Werk abliefert wie sein Bruder mit Michael Clayton?

Lou Bloom lebt in Los Angeles, behaust ein kleines Apartment und verdient sein Geld mit illegalen Geschäften wie Betrügereien oder dem Stehlen von Baumaterial. Doch er will mehr, er will einen richtigen Job! Doch sein Streben nach einer Anstellung bleibt erfolglos. Als er nachts Zeuge wird, wie ein Kamerateam einen Polizeieinsatz rund um einen Autounfall filmt und er erfährt, dass man diese Aufnahmen den städtischen TV-Sendern verkaufen kann, ist sein Interesse geweckt. Lou tauscht ein geklautes Rennrad gegen eine Kamera und geht nachts selbst auf die Jagd, nach großen, spektakulären Bildern, die er der abgebrühten News-Redakteurin Nina verkaufen kann. Schnell feiert Lou durch seine durchtriebene und waghalsige Art Erfolge und stellt mit dem obdachlosen Rick noch einen Gehilfen an. Doch Lou will noch mehr Erfolg und er ist auch bereit Grenzen dafür zu verschieben oder gleich zu brechen.

Die Medienschelte, welche Nightcrawler betreibt, ist angriffslustig und plakativ. Sie negiert sich gegenüber Graustufen und funktioniert als fratzenhafte Spiegelung des medialen Wahns der Skandale, großen Bilder und emotionalen Trubels. Lou Bloom erweist sich dabei als eine Art Frankensteins Monster dieser Welt. Er ist die menschgewordene Essenz einer Gesellschaft, die Erfolgsdruck als genauso attraktiv und begehrenswert beschreibt wie alltägliche Nettigkeiten. Bloom ist so smart wie rücksichtslos, so charmant wie durchtrieben, so eloquent wie radikal. Ein Wolf im Schafspelz, der schnell versteht, wie die Regeln des Systems funktionieren, wie man sie optimal befolgt und somit Erfolge feiern kann. Eine ethische Komponente gibt es dabei nicht und wenn doch eine erscheint, versandet sie in der Scheinheiligkeit. Lou Bloom ist die Bild und heftig.de in Menschengestalt.

Das Plakative an Nightcrawler ist aber keine Passivität oder ungeschicktes Denken, sondern Teil der Offenlegung, die der Film praktiziert. Dan Gilroy nutzt Simplizität, um einen Kreislauf sichtbar zu machen. Wenn am Ende von Nightcrawler die Autos über die nächtlichen Straßen von Los Angeles heizen, sie dem Gegenverkehr ausweichen, sie sich überschlagen und gegen andere Fahrzeuge knallen, dann ist klar, dass die mediale Realität die Normalität vollends bestimmt. Das von den Marktschreier-Medien propagierte Weltbild, wir haben es längst angenommen und es zu unserem gemacht. So erweist sich Lou Bloom als absoluter Autonomer, hat er doch verstanden, was zu tun ist, um das Spiel sowie das System so zu nutzen, dass man darin wandeln kann, ohne sich zu verändern und gleichzeitig Erfolge zu feiern. Er ist ein Monster, welches Egoismus und Gier so kongenial vereinnahmt hat, dass es adrett zu ihm passt. Lou Bloom ist das kompromisslose Ideal eines modernen Menschen. Sehr furchteinflößend.

Jake Gyllenhaal (Enemy) verkörpert diesen Lou Bloom mit solch einer rasiermesserscharfen Präsenz und dennoch ist es schwer ihn klassisch zu katalogisieren. Bloom ist zwar ein klar taktierender, eloquenter Egozentriker, der mit vermeintlich liberalem Narzissmus durch die Welt geht und der sich selbst als Gutmensch sieht und sich so auch seiner Umwelt verkauft. Zeitgleich schlummert aber in ihm etwas zittrig-fiebriges. Wie ein Monster im Keller, welches nicht von äußeren Umständen freigelassen wird, sondern nur von Bloom selbst. Ein Mann wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, der eigenständig zwischen den Polen wechseln kann. Wie Jake Gyllenhaal das spielt, ist schlicht und ergreifend sensationell und schlägt die Qualität seinen gefeierten Auftritt in Prisoners noch einmal um Längen. Dank Gyllenhaal ist Blooms garstige Seele jederzeit spürbar und präsent und dennoch umweht ihn der scheinbar unverdrängbare Schleier des Charmanten. Furchteinflößend superb, vor allem durch die Koppelung bzw. die Fixierung an den gesellschaftskritischen Kontext.

Dass neben Jake Gyllenhaal da nicht mehr viel Platz bleibt, verwundert nicht. Aber die Nebenakteure Riz Ahmed (Four Lions) und Rene Russo (Lethal Weapon 3) geben sich dennoch Mühe neben Bloom darstellerisch zu bestehen. Ein wahrer Härtetest, den sie allerdings bestehen, besetzen sie doch die Nischen des menschlichen Wesens, die Bloom nicht ausfüllen will oder noch nicht kann. Gyllenhaal, Ahmed und Russo (schön sie endlich mal wieder in einer echten Rolle mit Charakter zu sehen) – die Besetzung von Nightcrawler ist schlicht und ergreifend betörend.

Betörend sind nicht nur Gyllenhaal und die endlich wieder darstellerisch geforderte Rene Russo, sondern auch die Bilder von Nightcrawler. Kameramann und Oscar©-Preisträger Robert Elswit, der u.a. bereits Filme von Paul Thomas Anderson (Boogie Nights, Punch-Drunk Love, There Will Be Blood) kinetisch eingefangen hat, erzeugt hier Bilder, die zum einen äußert Klar aufgenommen und bebildert wirken und dennoch immer eine passive Ruhelosigkeit sowie Aggression beinhalten. Hinter den glatten Digitalbildern schlummert die Rauheit der Millionenmetropole Los Angeles. Robert Elswit gibt den Charakter des Lou Bloom quasi mit seinen Straßen- und Stadtporträts wieder: hinter einem klaren Äußeren verbirgt sich eine gewaltvolle Kraft. Nightcrawler ist in vielen Bereichen ein Film der Ambivalenzen und auch deshalb so verdammt gut.

Also ist Dan Gilroys Regiedebüt ähnlich gelungen, wie das Debüt seines Bruders Tony aus dem Jahre 2007? Ja, das ist es. Beides kleine Geniestreiche, denn beide exerzieren intelligentes wie unterhaltsames Kino mit Kern und Aussage, welches den Hauch des New Hollywood beinhaltet. Nightcrawler ist einer der besten Filme des Jahres und eine weitere Visitenkarte für die schauspielerischen Qualitäten von Jake Gyllenhaal.

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