"The Angels’ Share" (GB 2012) Kritik – Von Problemkindern und Whiskey-Dieben

“Selbst wenn du dich ändern willst, die lassen dich nicht!”

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Großbritannien erweist sich seit Jahrzehnten als überaus interessant, wenn es um die dortige Filmkunst geht. Steve McQueen ist nur einer der modernen Namen, der mit Filmen wie „Hunger“ und „Shame“ auf sich Aufmerksam gemacht hat und auf der ganzen Welt bereits ein mehr als verdientes Ansehen genießen dürfen. Doch entfernen wir uns mal von der neuen britischen Generation der Filmemacher und widmen uns den „erfahreneren“ Regisseuren, wie zum Beispiel Ken Loach, der dem Mainstream-Publik kaum ein Begriff sein dürfte. Dabei hat Loach schon so einige große Preise abgeräumt (Preis der Jury von Cannes, FIPRESCI-Preise in Cannes & Berlin, die Goldene Palme…) und sich durch seine kritische Umsetzung mit sozialen Konflikten in Filmkreisen beliebt gemacht. Als Loach mit seinem Drama „Route Irish“ 2010 gänzlich unbeachtet geblieben ist und keinerlei Zuspruch von irgendeiner Seite bekam, sollte es 2012 mit dem, für Loachs Verhältnisse, lockeren „The Angels’ Share“ wieder klappen. An die filmische Klasse alter Tage kann Loach nicht anknüpften, denn sein Mix aus Sozialkritik und Gauner-Spaß versteht es nicht immer, einen stimmigen Einklang zu finden.

Robbies Leben besteht aus jeder Menge Problemen: Er prügelt sich andauernd und kommt dadurch immer wieder in schwierigen Lagen, die eigentlich vollkommen unnötig sind. Irgendwann ist das Maß jedoch voll und Robbie muss 300 Sozialstunden ableisten, allerdings nur, weil seine Freundin schwanger ist und auf ihn angewiesen ist, sonst hätte das Gefängnis einen Insassen mehr. Durch die gemeinnützige Arbeit trifft er ebenfalls drei Gleichgesinnte und findet seinen Draht zum Whiskey, den er durch seinen Sozialarbeiter Harry nähergebracht bekommt. Als Robbie davon hört, dass es in den Highlands von Schottland ein ganzes Fass vom teuersten und besten Malt Whiskey überhaupt geben soll, macht er sich mit den drei anderen auf den Weg, um das Fass für viel Geld zu verkaufen, natürlich nur, um seine Familie später dadurch versorgen zu können. Geht die Sache schief, sitzt Robbie für ganze 20 Jahre hinter Gittern…

Wie wir es von Ken Loach in der Vergangenheit gewohnt waren, setzt er auch in „The Angels Share“ größtenteils auf unbekannte Gesichter. In der Hauptrolle als Robbie sehen wir Paul Brannigan in seiner ersten Spielfilmrolle. Das Brannigan hier zum ersten Mal eine tragende Figur zugesprochen bekommen hat, merkt man dem Schotten nicht an, denn sein Schauspiel weiß sowohl die emotionalen und humoristischen Momente zu bedienen und wirkt dabei nie unausbalanciert oder aufgesetzt. Aus Brannigan könnte in Zukunft ein interessanter Charakter-Darsteller werden, wenn er seine Rollen sorgfältig wählt, Potenzial hat der Mann jedenfalls mehr als genug. John Henshaw ist in England hingegen schon ein bekannteres Gesicht und meistert seine Rolle als Sozialarbeiter Harry, der ein Auge auf die Gruppe wirft, gewohnt routiniert. Allgemein gibt es rein schauspielerisch in „The Angels’ Share“ nichts zu bemängeln, auch die Nebendarsteller wie Gary Maitland, Jasmin Riggins und William Ruane machen ihre Sachen gut, auch wenn ihre Charaktere vergleichsweise oberflächlich ausfallen, dass ist jedoch eher auf die Schwächen des Drehbuches zurückführen.

Eigentlich beginnt „The Angels’ Share“ überaus ansprechend und vermittelt uns das Bild der kriminellen Jugend in Schottland mit dem nötigen authentischen und rauen Ton, der auch die Realität auszeichnet. Wenn hier zugeschlagen wird, dann fließen Blut und Tränen. Die Ziellosigkeit der Heranwachsenden wird immer extremer und der letzte Rückzug scheint in der stetig wachsenden Gewalt zu sein. Robbies Leben fehlt die führende Hand, denn wenn er mit seinem Kumpels durch die Straße zieht und ihm jemand nicht gefällt, dann wird solange auf Person eingeschlagen, bis sie regungslos auf dem kalten Asphalt liegt. Eine der intensivsten Szenen des Films ist es dann auch, wenn Robbie zur Rechenschaft gezogen wird und mit einem der Gewaltopfer konfrontiert wird. Robbie muss endlich Ordnung in seiner Welt schaffen, nicht zuletzt, weil er Vater wird und seine Freundin ihm nur noch eine Chance auf endgültige Besserung gibt. Doch die Probleme wollen ihn nicht loslassen und jeder Tag beginnt mit der Gefahr, heute noch ins Gefängnis wandern zu müssen. Hätte „The Angels’ Share“ sich weiterhin auf dieser ernsten Stufe positioniert und uns einen durchaus ehrlichen Einblick in die scheiternden Versuche der Problembewältigung von Robbie und Co. gegeben, dann hätte Ken Loach seinem Ruf in Sachen sozialkritischer Vorlieben wieder alle Ehre gemacht.

Ist jedoch die zweite Hälfte des Films angebrochen, dann gibt es in „The Angels’ Share“ einen schweren und nicht nachvollziehbaren Bruch. Robbies problematisches Dasein wird mit allem Drum und Dran aus dem Weg geräumt und wir müssen uns schmerzlich vom schroffen Ton verabschieden, denn nun beschreitet Loach den Pfad der Gauner-Komödie und lässt die kriminelle Bande zu Whiskey-Dieben werden. Sicher bringt dieser Teil des Films seine amüsanten Szenen mit sich, gerade durch den herrlichen schottischen Akzent, doch insgesamt wollen sich diese extremen Gegensätze einfach nicht glaubwürdig verknüpfen. Es gibt niveaulose und pubertärer Witze und alles erscheint plötzlich in einem positiven und unbeschwerten Licht, das die eigentliche Problematik vollkommen aus den Augen verliert und den Zuschauer nicht mehr mit Tatsachen beschäftigen will, sondern mit guter Laune aus dem Kino führen.

Fazit: „The Angels’ Share“ lässt sich wieder mal als das berühmte zweischneidige Schwert bezeichnen. Während die erste Hälfte als Sozial-Drama durchaus überzeugt und uns die Richtungslosigkeit der Adoleszenz in Schottland offenbart, wird die zweite Hälfte des Films umgebaut in eine oberflächliche Gauner-Komödie, die mit ihrem zuweilen niveaulosen Klamauk zwar nie wirklich weh tut, aber der ernsten ersten Hälfte deutlich unterlegen ist. „The Angels’ Share“ hätte das Zeug dazu gehabt, uns in „Trainspotting“-Manier die scheiternden Individuen zu offenbaren, doch möchte dann unbedingt auf gute Unterhaltung machen, die ihn schlussendlich zum unausgegorenen Hybrid der Gegensätzlichkeit macht.

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