"The Grandmaster" (CN/FR/HK 2013) Kritik – Martial-Arts-Ikone Ip Man kämpft wieder auf großer Leinwand

Autor: Florian Feick

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„Denke gut nach. Du kannst die Zeit nicht zurückdrehen.“

Die südchinesische Stadt Foshan in den 1930er-Jahren. Strömender Regen, der einer Sintflut gleicht. Ein schwarz gekleideter Mann mit einem charmanten weißen Hut. Eine Gruppe formiert sich. Es kommt zum Kampf. Einer gegen alle. Schläge und Tritte prasseln nieder wie der Regen, der ihre Seelen reinwäscht. Holzwägen zerbersten, Knochen brechen. Parade, Konter, Sieg. Wir begleiten den noch jungen Kung Fu-Anhänger Ip-Man (Tony Leung) bei seiner Mission, Wing Chun (so der ursprüngliche Name des Stils) auch über den Süden Chinas hinaus bei Kampfkünstlern zu etablieren. Damit dies jedoch ermöglicht werden kann, muss sich der aufstrebende Sportler zunächst einmal selbst einen Namen machen. Allmählich realisiert er, dass der nächste Wettkampf in Anbetracht der gegenwärtigen Situation seines Landes eine seiner geringeren Sorgen ist – Irrungen und Wirrungen, Krieg und Leidenschaft.

„The Grandmaster“ handelt vom Generationenwechsel, von Schülern und Meistern, von Stolz, Prinzipien, Macht und Ergebenheit. Was würdest Du alles aufgeben, um Dein Ziel zu erreichen? Bedenke, dass Du Deine Vergangenheit womöglich für immer wirst hinter Dir lassen müssen.

Seit jeher zeichnet sich das Kino des Wong Kar Wai als formal experimentelles Emotionskino aus, welches die ganz subjektiven Nuancen der Gefühle auslotet und mithilfe universeller Sinnsprüche zu konkretisieren versucht. Im Gegensatz zu seinen unkonventionellen früheren Werken jedoch gibt er sich bei seiner jüngsten Arbeit gänzlich herkömmlichen Dramaturgie-Werkzeugen hin, die auf plumpe Kompetitiv-Sequenzen setzen, an mancher Stelle beinahe sogar an einen beliebig-primitiven Prügelfilm gemahnen, was durch den stoisch-zurückhaltenden Gestus seines Protagonisten nur leidlich kaschiert werden kann. Währenddessen werden etliche Sub-Plots gesponnen, welche knapp den Werdegang anderer Kampfkünstler zur selben Zeit schildern sollen, deren einziger Verdienst allerdings die Stiftung überflüssiger Verwirrung hinsichtlich ihrer kruden Handlung ist. Oft verliert „The Grandmaster“ leider den nötigen Fokus, um die durchaus ereignisreichen Geschichten weiterhin spannend und nahbar zu gestalten, geriert sich aufgrund lediglich vager Andeutungen als erstaunlich emotionslos und unterkühlt, wodurch eine seltsame Diskrepanz zwischen diesem und den früheren Werken des in Hong Kong geborenen Asiaten entsteht.

Für Wong Kar Wai ist der berühmte Lehrer Bruce Lees kein bloßer Mensch, sondern ein abstrahiertes Symbol seiner Zeit, ein wehmütiges Plädoyer für den ungebrochenen Willen. Deshalb vermittelt er uns ebensowenig Gefühle wie er seinen stillen Hauptcharakter spüren lässt; die Distanz zu ihm ist so groß wie seine Distanz zu Mitmenschen. Trotz einer harmonischen Ehe verfolgt er nur dieses eine Ziel, für das er später alles wird aufgeben müssen, um vom Menschen zur Legende zu werden.

Letztendlich ist „The Grandmaster“ auch nicht mehr als eine dramaturgisch zähe Kampfsport-Show, die sich nicht so recht zwischen nostalgischem Biopic und kitschig übertriebenem Martial-Arts-Kino entscheiden kann. Narrativ hauptsächlich genau wie solch ein reißerischer Schaukampf strukturiert, gegen dessen Mentalität sich die Protagonisten den ganzen Film über wehren. Zwischen experimentell-ästhetischer (Kampf-)Kunst und Show herrscht traurigerweise ein Vakuum, das auch die vielen zu beliebig wirkenden Fernost-Kalenderweisheiten nicht zu füllen imstande sind.

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