Kritik: Blade Runner 2049 (USA 2017)

© Sony Pictures Releasing GmbH

You’ve never seen a miracle.

Ridley Scotts Blade Runner aus dem Jahre 1982 hat es vollbracht, Geeks und Cineasten gleichermaßen in Ströme der Begeisterung zu versetzen, obwohl sich dessen ikonische Stellung innerhalb der Filmgeschichte, nachdem er an den Kinokassen gnadenlos unterging, erst Jahre später herausstellen sollte. Inzwischen jedenfalls sollte den Menschen, die sich mit voller Hingabe dem Medium Film unterwerfen, bewusst geworden sein, welche immense Bedeutsamkeit Blade Runner anhaftet – und welche Maßstäbe er (nicht nur) innerhalb des Sci-Fi-Genres setzte, eben weil er es verstand, genau dieses Genre allezeit zu transzendieren. Ridley Scott stellte dem Zuschauer Fragen, ohne Antworten auf diese zu liefern. Fragen, die sich von einer exorbitanten philosophischen Größenordnung vorzeigten, dass es – und damit hat sich Scott Zeit seiner Karriere des öfteren beschäftigt – unmöglich und vermessen wäre, scheinbare Antworten aufzubereiten.

Ein formvollendete Opus also, weitergehend: Einer der besten amerikanischen Filme aller Zeiten. Warum also muss man ein solch auserlesenes Kunstwerk fortsetzen? Die erste, logische Schlussfolgerung wäre, weil es kommerziell einigen Ertrag verspricht – aber vollbringt es das Label Blade Runner heutzutage wirklich, Menschen ins Kino zu locken? Sony jedenfalls stellte Denis Villenieuve (Arrival, Sicario) ein Budget von üppigen 185 Millionen US-Dollar zur Verfügung, was nicht nur einem unschätzbarer Vertrauensbeweis dem frankokanadischen Filmemacher gegenüber gleichkommt, sondern auch Villeneuves Sonderstellung innerhalb des Autoren-Blockbusters weitergehend ausbaut. Setzt man sich infolgedessen über die Diskussion um Sinn und Unsinn, um Notwendigkeit und Irrelevanz, von Fortsetzungen hinweg und geht Blade Runner 2049 vorerst mit dem Gedanken an, dass das BladeRunner-Universum sicherlich noch weitere erzählenswerte Geschichten bereithält, ist der erste Schritt zur (Eigen-)Sensibilisierung getan.

In Blade Runner 2049 heften wir uns an die Versen des Replikanten (kein Spoiler) K (Ryan Gosling, La La Land), der als Blade Runner dafür verantwortlich ist, Replikanten des Types Nexus 8 zu liquidieren. Nachdem es vor vielen Jahren zu einem großen Blackout gekommen ist, der die Welt in einen folgenschweren Kollaps verleitete, hat die Wallace Corporation in der zukünftigen Gegenwart die industrielle Hoheit erlangt: Dieser Zusammenschluss, an dessen Kopf der ätherische Niander Wallace (Jared Leto, Suicide Squad) thront, hat nicht nur eine künstliche Agrarkultur ins Leben gerufen, um die Bevölkerung zu ernähren. Nach Jahren des Verbots zeichnet sich die Wallace Corporation auch dafür aus, Replikanten des Types Nexus 9 zu entwerfen, die der Gesellschaft als absolut loyale Sklaven dienen. Zu diesen zählt auch K, dessen Arbeitsmethode deshalb so beliebt ist, weil sie auf einer klaren Opferbereitschaft basiert.

Rückhalt erhält die Existenz dieser Replikanten von implementierten Erinnerungen. Dass all diese sentimentalen Reminiszenzen nicht echt sind, ist den Replikanten vollkommen bewusst, und doch schenken sie den künstlichen Menschen eine illusionäre Idee davon, wie es sein kann, eine Vergangenheit gehabt zu haben. Als K den Auftrag empfängt, das Kind einer Replikantin aufzuspüren, eröffnet sich für ihn ein neuer Blickwinkel auf sein Dasein: Gibt es für Androiden womöglich doch einen Anspruch auf Selbstbestimmung? Genau damit beschäftigt sich Blade Runner 2049 über eine Laufzeit von fast 170 Minuten. Was auf dem Papier als erdrückende Länge erscheinen mag, wird sich nach der Sichtung des Films, der noch lange nachreift, als unbedingt erforderlich herauskristallisieren. Denis Villeneuve hat in seinen vorherigen Regiearbeiten bereits sein Gespür für das audiovisuelle Erzählen bewiesen – in Blade Runner 2049 katapultiert er dieses in eine neue gestalterische Dimension der Immersion.

Villeneuve gelingt es mit Bravour, den Geist der Vorlage in Ehren zu halten, anstatt sich diesem sklavisch zu beugen. Blade Runner 2049 unterliegt, trotz seines Referenzraumes, nie dem Anspruch, sich voll und ganz auf das Original zurückfallen zu lassen, sondern fungiert in der Funktion, das BladeRunner-Universum auszubauen, es weiterzuspinnen – und dafür nutzt er sorgsam arrangierte Bild- und Tonwelten, die den Zuschauer wie einen von schöpferischer Sprengkraft angetrieben Strudel in sich saugen. Radioaktiv verstrahlte Wüsten, in denen vom Sand beinahe verschlungene Objekte an eine Vergangenheit gemahnen, die die Gegenwart in nahezu jedem Frame rekapituliert. Verfallene Großstädte, die sich als in Regen, Smog und Neonlicht verschlungener Betonmatsch abbilden. Endlose, synthetisch angelegte Wirtschaftsplantagen, die sich zum Horizont erstrecken. Die Welt, von der Blade Runner 2049 berichtet, ist eine, in der zwischenmenschliche Wärme vollkommen abhanden gekommen ist.

Und genau diese Leere spiegelt sich in der Architektur, in den Ruinen der Zivilisation, in den Interieurs und Exterieurs wieder, für die Blade Runner 2049 dem Zuschauer die nötige Zeit einräumt, um all die Details, Finessen und Stimmungen zu erkunden, zu entdecken, zu erfassen und in sich aufzunehmen. Und genau diese ausgeprägt-elegante Bedachtsamkeit, diese entschleunigte Akkuratesse, mit der Villeneuve seinen Bildern Raum zur Entfaltung schenkt, wird vielen Zuschauern vor den Kopf stoßen. Blade Runner 2049 nämlich interessiert sich nicht dafür, die von Übersättigungseffekten bestimmte Wohlfühlzone des modernen Blockbusters zu hofieren. Blade Runner 2049 fordert Konzentration ein, gibt aber ebenso viel Erhellendes zurück und kreiert unter tieffrequentem Dröhnen nicht nur sensationelle, durch und durch suggestive Illustrationen und Einstellungen, er setzt auch den inhaltlichen Diskurs fort, den Blade Runner 1982 in feingeistiger Genialität bemühte.

K, der immer wieder von einer Erinnerung heimgesucht wird, in der er ein hölzernes Pferd in einem stillgelegten Schmelzofen versteckt, wird von Blade Runner 2049 als eine (unechte) Persönlichkeit begriffen, die Teil einer (Nicht-)Welt ist, die sie nicht versteht und dennoch zu ihr gehört. Unter bedrückender Melancholie und Schwermut streift K durch die versifften Häuserschluchten, verrichtet seine Arbeit und kommt abends in eine Wohnung, in der ihm eine holografische Projektion (Ana de Armas, Knock Knock) die menschliche Zuneigung suggeriert, die das Jahr 2049 längst nicht mehr bereithält. Denis Villeneuve setzt K auf eine Suche nach Spuren des Lebens aus; nach einer Möglichkeit auf Hoffnung, auch wenn die Antworten auf die eigene Selbstfindung bedrückender Natur sind. So muss man doch kein Mensch sein, um Menschliches zu tun. Blade Runner 2049 berichtet von einer Chance, und sei sie noch so minimal. Er berichtet von der Chance, Menschlichkeit zu stiften.

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