"Hannibal" 2. Staffel (USA 2014) Kritik – Von der Dissonanz zur Komposition

Autor: Pascal Reis

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„Put your head back. Close your eyes. Wade into the quiet of the stream.“

Die erste Staffel von „Hannibal“ hatte mit erheblichen Startschwierigkeiten mannigfacher Causa zu kämpfen und schmälerte zu Anfang noch die Hoffnungen darauf, erneut in den Genuss eines ähnlich hochkarätigen Formats à la „Game of Thrones“, „Walking Dead“ oder „Mad Men“ zu kommen. Ja, die Qualität von „Hannibal“ blieb vorerst im Verborgenen, der Erzählfluss stagnierte gewaltig und den Charakteren gelang es einfach nicht, ein rechtes Interesse für ihre misslichen Lagen zu generieren. Das Blatt wendete sich schließlich noch, Mads Mikkelsen bewies erneut, warum er inzwischen zu den Besten seiner Zunft gehörte und „Hannibal“ zog die Daumenschrauben von Folge zu Folge, bis zum tollen Finale, gekonnt fester und fester. Nun sorgt die zweite Staffel der NBC-Serie im World Wide Web für reichlich Furore und kassierte sowohl Schelte als auch reichlich Ehrenbezeigung. Fakt ist in erster Linie aber, dass die gesamte Crew mit der zweiten Staffel wirklich ganze Arbeit geleistet hat und die eigentliche Klasse des Sujets bis auf wenig Aussetzer schrankenlos ausreizt.

Hannibal Lecter ist mit seinem durchtriebenen Spiel tatsächlich durchgekommen und hat es geschafft, Will Graham die Morde anzuhängen, für die er sich verantwortlich gezeigt hat. Will ist es letztlich zwar noch gelungen, Hannibals Plan zu durchschauen, war aber aufgrund der offensichtlichen Beweisgrundlage chancenlos und ist gezwungen, sein Dasein von nun an hinter schwedischen Gardinen zu fristen. Als es dann aber, trotz der Inhaftierung Wills, zu weiteren grauenvollen Morden kommt, die nach einem ähnlichen Motiv gestrickt sind, kommen auch der Außenwelt um Will immer mehr Zweifel, während Will selbst damit beschäftigt ist, Jack Crawford davon zu überzeugen, dass Hannibal der Chesapeake Ripper ist und ein Doppelleben führt. Es geht also äußerst verzwickt vonstatten und vor allem Will Graham mausert sich in Staffel 2 zu einem Charakter, der endlich Autonomie beweisen kann und den Zuschauer aufgrund seiner Situation (und den Umgang mit dieser) zu bannen weiß. Will entwickelt sich weiter, seine Halluzinationen beschreiten eine Dimension, der ein greifbares Fundament bereitet wurde, deren Tragik endlich verständlich scheint.

Und auch Hannibal, der in Staffel 1 durch seine kognitiven Fähigkeiten noch unbezwingbar erschien, darf endlich menscheln und einen Blick in sein Inneres erlauben: Menschen definieren sich nun mal durch ihre Schwächen – Hannibal höchstpersönlich stellt da bei gewiss keine Ausnahme dar. Wenn man der zweiten Staffel wirklich etwas vorwerfen möchte, dann ist es nicht seine zuweilen relativ berechnende und durch überbordende Konstruktion, sondern der schludrige Umgang mit dem weiblichen Personal. Charaktere wie Dr. Alana Bloom, Dr. Bedelia Du Maurier und auch Abigail Hobbs besitzen viel mehr Potenzial, als es ihnen das Drehbuch gönnt und so verkommen sie oftmals nur zu funktionellen Lückenbüßern, die zwischendurch gerne mal eine ganze Folge übergangen werden. Dass der Sex – und ja, das scheint eine äußerst sexistische Überleitung – in Staffel 2, wie von Bryan Fuller verkündet, nun wirklich Einzug in die Serie erhält, ist natürlich einerseits ein wichtiger Aspekt um die Emotionalität seiner Charaktere wesentlich zu grundieren. Dass der Geschlechtsakt aber in einem gar mythisch elektrisierten Fünfer kulminiert, zählt zu den wirklich brillanten Einfällen.

„Hannibal“ erlaubt sich in einem Beziehungsgeflecht einen zunehmend präsenten homoerotischen Subtext, der die Bindung zwischen Hannibal Lecter und Will Graham viele neue Facetten offeriert. Es mag paradox klingen, wenn Hannibal Lecter über Humanität und Ethik schwadroniert, bevor er noch um Wills Vergebung bittet, Reue verkündet, um ihm dann ein „ganz“ besonderes Geschenk zu unterbreiten, dass Hannibals Verzweiflung akkurat auf dem Punkt bringt. „Hannibal“ gewinnt endlich einen gefühlvollen Unterbau, der mehr Spannung inne trägt, als die, natürlich durch ihren Suspense ebenfalls aufregende, Hetzjagd um den Killer an und für sich. Im Mittelpunkt der zweiten Staffel jedoch steht die ambivalente Freundschaft zwischen Will Graham und Hannibal, es sind die Illusionen, denen Hannibal sich insgeheim hingibt, die ihn durch Hand mehr oder weniger demaskieren. „Hannibal“ hat es geschafft, sich von dem hemmenden Schubladendenken zu befreien und verwebt wie verstärkt seine Handlungsfäden mit elementare Fragestellungen, auf die wir vorerst noch keine Antwort geben dürfen. Doch wie schwer lässt sich die Triebhaftigkeit in der menschlichen Natur nun wirklich kontrollieren? Wie schnell verfällt man der Lust an Zerstörung, wenn man einmal Blut geleckt hat?

Formal brauchen wir wohl nicht viele Worte über „Hannibal“ verlieren und inzwischen sind wohl alle Superlativen erlaubt, die das Wörterbuch so hergibt: In einer synästhetischen Finesse zieht „Hannibal“ den Zuschauer durch seine famosen Bildkompositionen in den Bann. Symbolisch aufgeladene Sequenzen werden durch farbliche Kontraste akzentuiert, die sich in dieser Pracht postwendend ins Gedächtnis brennen. Der Maskerade des Wahnsinns im Zentrum begegnen adäquat-kalibrierte, hochgradig stimulierende Fotografien, die letztlich durch ihre akustische Untermalung vollständig überwältigen. Neben den freudianischen Referenzen, dem Fan-Service, den Allegorien und der poetischen Metaphorik gebührt ein letztes großes Lob noch zwei Nebenfiguren: Zum einen lehrt uns Jonathan Tucker in Folge 5 als Pfleger der Einrichtung, in der Will Graham einsitzt, kräftig das fürchten. Und zum anderen ist Micheal Pitt („Boardwalk Empire“), der dem jungen Mason Verne ein Gesicht verleiht, schlichtweg überwältigend. Wie von der Tarantel gestochen lässt Michael Pitt den Psychopathen raushängen und bekommt dann eine Szene geschenkt, die den Gore-Höhepunkt der Reihe darstellt. Unfassbar! Das Warten auf Staffel 3 wird eine echte Geduldsprobe.

„I forgive you, Will. Will you forgive me?“

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