Gespräch zwischen zwei Zuschauern nach dem indischen Revenge-Thriller Garbage: „Meine Erfahrung mit der Berlinale bisher: Die Internetseiten gehen nicht und das CineStar zeigt die ganze Woche nur Penisse. Kann ja auch nicht Sinn der Veranstaltung sein…“. Pimmel, Pimmel, überall Pimmel – dass das männliche Glied noch immer Verwirrung unter den Zuschauer stiften kann, finde ich direkt erstaunlich. Garbage, der neue Film des indischen Regisseurs Q, der zuvor die Zuschauer stilvoll in einem „Need Weed“-T-Shirt auf das Nachfolgende vorbereitete, zeichnete sich unterdessen nicht unbedingt durch ausufernde Nacktsequenzen aus. Stattdessen durften die Zuschauer hier einer sehr qualvollen Dekonstruktion der Männlichkeit beiwohnen: Der an Hodenkrebs leidende Taxifahrer Phanishwar (Tanmay Dhanania) hält in seiner Wohnung eine stumme Frau an einer Metallkette gefangen, die auf einem Tisch schlafen und ihm sklavisch ergeben sein muss. Doch nicht nur im Mikrokosmos seines Domizils fällt der Taxifahrer durch sein abscheuliches Verhalten auf: In den Weiten des Internets bläst Phanishwar regelmäßig menschenverachtende Tweets in den Äther und huldigt dem rechtsextremen Guru „Baba“, dessen hetzerische Anhängerschaft so etwas wie eine Ersatzfamilie für den verwirrten Geist geworden ist. Unterdessen flieht die junge Rami (Trimala Adhikari) vor den Folgen eines Sexvideos, das heimlich von ihr ins Netz gestellt worden ist. Hier trifft sie auf Phanishwar, der sie als Fahrer durch die Gegend chauffiert – das Zusammentreffen endet blutig. Garbage ist trashig inszeniertes Kino voller Blut, Schweiß und Tränen, das im unangenehmsten Sinne unter die Haut geht – richtig gut ist der mit Torture-Porn-Elementen versehene Streifen dennoch nicht, dafür verbringt der Film zu viel Zeit im erzählerischen Leerlauf.
Deutlich mehr nackte Haut und zudem noch den besseren Film hatte es für den Zuschauer mit der Penis-Phobie im der Anschlussfilm der Panorama-Sektion Tinta Bruta (Hard Paint) gegeben, in welchem gleich in doppelter Hinsicht blank gezogen wurde. Hauptfigur Pedro (Shico Menegatc) verdient sein Geld nicht nur als Camboy, sondern legt für die Zuschauer noch einen kompromisslosen Seelenstriptease hin. Während Pedro unter seinem Alter Ego Neonboy seine Zuschauer mit Tanzeinlagen, Neonfarben und Schwarzlicht bei Laune hält und sich so eine lüsterne Fangemeinde aufbaut, entwickelt sich sein Leben hinter der Kamera in eine ganz andere Richtung, denn dieses Leben ist gehörig aus der Bahn geraten. Pedro muss sich vor Gericht verantworten, wurde exmatrikuliert und verlässt seine Wohnung nur noch, wenn es unbedingt sein muss. Die einzige Person, die dem eigenbrötlerischen Pedro noch halt gewährt, ist dessen Schwester, mit der er sich die Wohnung teilt. Als diese ihm jedoch mitteilt, dass sie einen Job in einer anderen Stadt annehmen wird, steht Pedro vor dem Nichts. Die Regisseure Marcio Reolon und Filipe Matzembacher inszenieren mit Tinta Bruta (Hard Paint) einen einfühlsamen Coming-of-Age-Film, der die schwierige Lebenssituation seiner Hauptfigur fast schon mit voyeuristischer Begeisterung vor seinem Publikum ausbreitet. Nichts wird versteckt, jeder weitere Tiefschlag im Leben Pedros wird präzise von der Kamera eingefangen und der Kinobesucher so zu einem weiteren Zuschauer der Neonboy-Liveshow.
Auch im Bereich der Wettbewerbsbeiträge bin ich nicht untätig geblieben: Gemeinsam mit unserem CinemaUpdate-Podcaster Leonhard habe ich mir den neuen Film der Zellner-Brüder Damsel angeschaut. Eine tragikomische Western-Groteske mit namhafter Besetzung, unter anderen mit Robert Pattinson und Mia Wasikowska in Schlüsselrollen, in der mit den romantischen Vorstellungen des „Wilden Westens“ aufgeräumt wird. Eigentlich hätte Damsel ja mehr als nur ein paar Sätze verdient, denn über den Anti-Western lässt sich vortrefflich und im besten Sinne streiten, wie wir bereits kurz nach der Vorstellung feststellen durften. Unentschlossen torkelt der Film zwischen cartoonesquen Humoreinlagen und Western-Demontage hin und her. Vielleicht wäre es sogar treffender zu sagen, dass sich die beiden Elemente gegenseitig blockieren. Dramatische Momente, an denen es in Damsel wahrlich nicht mangelt, werden stets durch ein abrupt eingeschobenes und manchmal überraschend derbes (auch hier kann der aufmerksame Beobachter einen Penis-Witz finden) Comedy-Element unterbunden. Vielleicht schreibt Leonhard ja noch eine ausführliche Kritik, der fand den Film deutlich besser. In den nächsten Tagen werde ich mich wieder etwas verstärkt den Wettbewerbs-Filmen widmen und mir Lance Dalys irischen Rache-Thriller Black 47 und José Padilhas 7 Tage in Entebbe mit Daniel Brühl anschauen. Bis dahin wünsche ich euch viele gute Filme auf dem Festival!
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