Kritik: The House That Jack Built (DK 2018)

You’re house is a fine little house, Jack.

Lars von Trier kehrt zurück nach Cannes. Vor sieben Jahren sorgte sein scherzhaftes “I’m a Nazi” dafür, dass er, nach seiner Goldenen Palme für Dancer in the Dark im Jahr 2000, auch den Preis als Persona Non Grata entgegen nehmen durfte und somit vom Festival ausgeschlossen wurde. Doch die Schonzeit ist nun vorbei, für Cannes, Lars von Trier und natürlich das Publikum, denn das muss sich diesen Film ja letztendlich ansehen. Gerüchten zufolge wollte Thierry Frémaux The House That Jack Built liebend gern im Wettbewerb zeigen, aber da von Trier keine Pressekonferenz geben wollte und diese anscheinend für die Teilnahme am Wettbewerb Usus ist, lief der Film nun außerhalb des Wettbewerbs. Der Andrang wurde dadurch nicht geringer, galt der Film doch für viele Kritiker*innen und Gäste als das eigentliche Highlight von Cannes. Doch wird The House That Jack Built auch seinem, mal wieder durch grandioses Marketing geschürten, Hype gerecht?

Jack (Matt Dillon) ist ein Ingenieur, der eigentlich Architekt sein will. Seine Berufung ist aber das Töten. Über 60 Morde gehen auf sein Konto. Der Film zeigt uns nur fünf dieser Taten, die der selbsternannte “Mr. Sophistication” als Kunstwerke betrachtet, penibel fotografiert und abschließend in einem Kühllager verwahrt. Und dann ist da noch die Stimme von Verge (Hitler-Darsteller Bruno Ganz), zu der Jack spricht. Die Debatte der Beiden dreht sich um Kunst, ihre Triebfedern und ihren Sinn für den Menschen, die ebenso eng geknüpft ist an den Wert des Lebens, der Moral und der Empathie. Letzteres geht Jack natürlich völlig ab, weswegen er Menschen auch eher als zu bearbeitendes Material ansieht. Umso schwerer fällt es ihm den passenden Stoff für sein Traumhaus zu finden, das er als Möchtegern-Architekt zu konstruieren versucht.

Spätestens mit seinem Sex-Epos Nymphomaniac befindet sich von Trier in einer offen essayistischen Phase. Waren seine Filme zuvor zwar schon deutlich durchzogen mit argumentativen Strukturen, wenn auch über Handlung und Figuren stellvertretend, so gibt es seit Nymphomaniac und nun auch verstärkt in The House That Jack Built Sequenzen, in denen eine Off-Stimme zu Footage referiert. In Dogville brauchte es noch eine Leidensgeschichte von drei Stunden Laufzeit als Prämisse, um zur Schlussfolgerung zu kommen, die dafür auch weitaus berührender war. The House That Jack Built baut mit seinen, böse formuliert, Magazinbeitragssequenzen, die mich auch ein wenig an The Image Book, den diesjährigen Wettbewerbsfilm von Altmeister Jean-Luc Godard, erinnerten, eine weitaus größere Distanz auf.

Nicht Brutalität oder in langen Nahaufnahmen eingefangene Gore-Effekte stehen im Zentrum, sondern die grausame Anteilnahmslosigkeit Jacks. Matt Dillons Figur ist ein bedauernswerter Psychopath mit Reinigungsfimmel und beileibe nicht so genialisch wie uns das Genre gerne Serienkiller verkauft. Er ist allenfalls ein Glückspilz, der glaubt, mit seinen Werken Gott zu gefallen. Weder geht er allzu “sophisticated” bei der Planung und Ausführung seiner Morde vor, noch wird wirklich klar, welches künstlerische Ziel er überhaupt verfolgt. In erster Linie gehorcht er seinem Trieb, der stumpf gestillt werden muss. Den ganzen Film über rechtfertigt Jack seine Taten als Kunst, was von Ganz’ Jenseitsführer Verge/Vergil kritisiert und hinterfragt wird. Der Dialog der Beiden stellt die zwei Herzen in Lars von Triers Brust dar. The House That Jack Built ist ein selbsttherapeutischer, entschuldigender und doch wieder provozierender Film. Seine strenge Struktur täuscht nur Stringenz vor. Wie Jacks Taten, so ist auch der Film ein unordentlicher Material- und Ideenmix geworden, der zwischen Erzählkino und Video-Essay oszilliert.

Die psychische Gesundheit des Filmemachers, genauso wie all die (Online-)Debatten um ihn, haben den Film ungehindert in Beschlag genommen. The House That Jack Built ist Offenbarungseid und Kapitulation zugleich und gerade deswegen faszinierend. Von Triers Meisterwerke liegen schon lange zurück, aber es gelingt ihm immer noch sein Publikum um den Finger zu wickeln und an den Sitz zu fesseln. Die Selbstkritik gibt es jetzt auch noch gratis dazu. Der Film ist somit kein Hohelied auf die Kunst geworden. Er demontiert dagegen das Ideal des genialischen Künstlers, denn sie haben die tiefsten Tiefen der Hölle verdient. Dorthin verstößt von Trier im Epilog Jack und somit auch sich selbst. Das Publikum bleibt zurück. Unschuldig?

-Gesehen im Rahmen des 71. Cannes International Film Festivals 2018-

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2 Comments

  • Coolray

    Entschuldigung..ich habe das Gefühl das hier unreflektiert etwas hineininterpretiert wird nur damit man diesen Film gut finden kann. Wenn der Film so gut und faszinierend ist , warum haben dann mehr als 100 Menschen die Vorführung verlassen. Und warum schreibt man hier nichts dazu ???? Man könnte das auch Abstimmung mit den Füßen nennen. Viele die gegangen sind fanden den Film ekelhaft.

    • LvT

      Entschuldigung abgelehnt! Warum soll der Film nicht gut und faszinierend sein, nur weil 100 – oder wie viele Menschen auch immer – die Vorführung verlassen haben? Und warum soll der Re­zen­sent dies erwähnen, wenn er eine Kritik zu dem Film verfasst? Ist dies für seine persönliche Bewertung notwendig? Und was hat das mit Abstimmung zu tun? Es ist die Meinung des Kritikers, die selbstverständlich nicht rein objektiv ausfallen kann. Und die meisten Zuschauer sind geblieben und fanden den Film nicht ekelhaft. Nicht immer auf die reißerischen Clickbait-Überschriften der Medien reinfallen. Nur weil bei den “Fast and Furious”-Filmchen nicht 100 Leute vorzeitig das Kino verlassen, macht das den Kram nicht automatisch gut und faszinierend. Nichts für ungut.

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