Kritik: King’s Land (DK 2023)

Eine Gastkritik von Michael Gasch

– gesehen im Rahmen der 80. Filmfestspiele von Venedig 2023 –

King's Land 2023 Film

Life is chaos.

Geschichtskino ist heutzutage bekanntlich so eine Sache. Unabhängig ob es sich um The Green Knight, The Last Duel oder Firebrand, welcher erst vor wenigen Monaten auf den Filmfestspielen in Cannes lief, handelt, zeigt sich immer wieder die problematische Vermarktbarkeit jener Werke – komplett unabhängig von den filmischen Qualitäten, die jeder einzelne Film mitbringt. Regisseur Nikolaj Arcel (Der dunkle Turm) lässt sich davon nicht abschrecken und beschert der Welt nun mit King’s Land (internationaler Titel The Promised Land) einen Film über dänische Geschichte im 18. Jahrhundert. Verpackt in frischen Bildern und mit Mads Mikkelsen als Protagonisten (natürlich, denn gibt es überhaupt einen dänischen Film, in dem der markante Schauspieler nicht mitspielt?), lässt Arcel das Geschichtskino aufleben, wie es aktuell nur wenige Regisseure schaffen.

Es ist jedoch alles andere als einfach zu sagen, was King’s Land so einzigartig macht. Die Geschichte, die sich mit einer überschaubaren Anzahl an Sätzen zusammenfassen lässt, ist das eine. Es geht hierbei um den dekorierten Soldaten Ludwig van Kahlen (Mads Mikkelsen), der das Militär hinter sich lassen möchte und sich voll und ganz einem neuen Ziel verschreibt: Ein Stück Land unter König Friedrich V. fruchtbar machen, bewirtschaften und eine Kolonie gründen. Es ist jedoch ein kompliziertes Unterfangen und so gehen Jahre ins Land, bis sich Erfolge einstellen.

Bereits an dieser Stelle fühlt sich das Geschichtsdrama fast wie ein Farming Simulator an. Ressourcenmanagement, feindliche Rivalen, Wetteränderungen und zusätzliche Herausforderungen, nur um das Geschehen aufregender zu gestalten, finden Einzug, auch wenn das nur ungewollte Parallelen sein mögen. Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto schwieriger wird das Unterfangen, ein Game Over ist gar nicht so weit entfernt. Doch was winkt eigentlich am Ende? Der Gamification sei Dank, könnte die Wortwahl nicht besser passen: “an incredible archievement” (eine unglaubliche Errungenschaft) heißt es an einer Stelle, nachdem Kahlen eine beachtliche Ernte einfahren konnte und die Jahre der Arbeit sich auszahlen.

Es handelt sich wohl um die realistischste (ungewollte) Videospiel-Verfilmung dieser Tage. Arcel verschreibt sich dabei ganz und gar der Figur des Mannes, ein zuweilen mysteriöser Charakter, der nie ganz ergründet wird. Einen Titel bei Hofe erhofft sich dieser für seine buckelige Arbeit, doch steckt nicht doch mehr dahinter? Dadurch, dass die Figur nicht tiefer beleuchtet wird als notwendig, schwingt immer wieder eine konstante Unberechenbarkeit mit. Eine gute Entscheidung, die sich gegen Ende hin besonders auszahlt. Das liegt nicht zuletzt auch am dezenten Schauspiel von Mads Mikkelsen, der die meiste Zeit eigentlich dasselbe macht, indem er zwei Stunden lang stoisch, traurig und / oder melancholisch drein blickt. Es ist jedoch kein Anzeichen für schlechtes Schauspiel, im Gegenteil.

Wir sehen hier nicht den Schauspieler, sondern den Leidtragenden, der vollkommen internalisiert wurde. Mads Mikkelsen verkörpert nicht den Pain, er ist der Pain, der nur ganz selten von den Händen seiner Mitmenschen aufgefangen wird. Es ist ein Geniestreich, wie in diesen Momenten zusätzlich mit den Erwartungen an einen Mann gebrochen wird. Da Arcel sich nicht die ganze Zeit an das schmerzvolle Leben und den eisernen maskulinen Wille klammert, der nur darauf wartet gebrochen zu werden, ist King’s Land auch ein besseres Portrait als beispielsweise ein The Revenant, der die meiste Zeit den Eindruck hinterließ, als würde er mit seinen schmerzverzerrten Gesichtern vielmehr nach Aufmerksamkeit und Ergriffenheit trachten. Das Leiden spielt hier dagegen nur eine Nebenrolle, das Hauptaugenmerk liegt an anderer Stelle.

Auch geht es nicht um die Verhandlung des Gesetzes und Gerechtigkeit, obgleich beide Themen sich wie rote Fäden durch den gesamten Film ziehen. Der Kampf gegen den Rest der Welt ist wohl das eigentliche Thema, welches mal mehr, mal weniger an das Westerngenre erinnert. Wenig überraschend hofft man daher auf wuchtige Bilder (schon allein beim Kampf gegen die unbändige Natur in allen Formen), wie es viele Filme vor dem Historiendrama getan haben (Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford etc.). Arcel verfeuert seine (Kamera-)Schüsse jedoch mit Bedacht und eh fällt die visuelle Inszenierung eher klassisch aus. Eine ebenfalls gute Entscheidung, da Ultra-Breitwandbilder, aufwändige Kompositionen von natürlichem Licht und Schatten und eine generelle Erhabenheit à la Emmanuel Lubezki den Film vermutlich unnötig verkünsteln würden.

Stattdessen bleibt der Blick auf das Geschehen unaufgeregt, ja fast schon starr. Ein Game Over, welches sich wie bereits erwähnt hier und da in Reichweite befindet, wird dadurch elegant umfahren und es zeigt sich, dass Arcel als Geschichtenerzähler, aber auch die Figur Kahlen (zumindest die meiste Zeit) gut genug weiß, wie das Spiel läuft. Dass alles gelungen ineinander greift und am Ende mehr als die Summe seiner Teile ergibt, ist letzten Endes eine echte Kunst.

Es steht bisher noch nicht fest, wann King’s Land deutschlandweit in den Kinos startet.

★★★★★★☆☆
Herausragend!


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.