Beating Hearts (FR 2024) | Filmkritik & Trailer

Eine Gastkritik von Michael Gasch.

“We were the same, you and me.”

In der Geschichte Frankreichs gab es genug Rebellion und Revolution. Knallharte Lebensumstände sorgten in genug Fällen für knallharte Gegenreaktionen. Knallhart wird auch immer wieder im französischen Kino durchgegriffen, zuletzt beispielsweise in Coralie Fargeats The Substance, in dem die Regisseurin mit Hollywood und der Gesellschaft so schonungslos abrechnet, wie man es sich nur vorstellen kann, und gleichsam freilich auch eine kleine Revolution in Gang setzt – ideologisch als auch cineastisch. Gilles Lellouche lieferte auf den Filmfestspielen in Cannes 2024 zur gleichen Zeit mit Beating Hearts ein fast dreistündiges Mammutwerk und greift nicht minder knallhart durch. Knallhart bei der Action, wenn in den ersten Minuten eine energische Gewaltentladung den Anfang macht. Ebenfalls knallhart, wenn daraufhin die intensive romantische Vorgeschichte folgt. Lellouche macht also an keiner Stelle halbe Sachen, der Titel ist Programm: Schnell schlägt bei dieser energischen Atmosphäre auch das eigene Herz schneller als für gewöhnlich. Und doch ist da auch genug Platz für zarte Momente, wenn es über menschliche Wärme und Kälte, Nähe und Distanz geht.

Die Geschichte klingt dabei so altbacken wie das Kino selbst. Nachdem eine junge Beziehung aufgrund eines harten Schicksalsschlags getrennt wird, zerbricht die Liebe zwischen einem Jungen und einem Mädchen. Viele Jahre später begegnen sie (Adèle Exarchopoulos und François Civil) sich wieder, doch will die ganze Welt uns glauben lassen, dass diese zwei Menschen keine gemeinsame Zukunft haben. Spannend und originell klingt das auf den ersten Blick erst einmal nicht. Doch wie jenes Narrativ entstaubt und in Szene gesetzt wird, ist einmalig. In erster Linie aufgrund der filmischen Verortung, wobei sich ein Vergleich zu Emilia Pérez , der ebenfalls 2024 in Cannes im Wettbewerb lief. anbietet. Während in diesem Beispiel die Komponenten Drama, Thriller, Musical, queeres Kino und Ideologiekritik zusammenkommen, ist Beating Hearts gleichsam Genre-übergreifend aufgebaut.

Es beginnt mit Anleihen an den Rache-Thriller, springt dann in die Vergangenheit und folgt fortan dem romantischen Drama und dem Coming-of-Age-Narrativ. Ehe man sich versieht, ist man nicht viel später in einen Heist- und Krimifilm. Abgerundet von vereinzelten Musik- und Tanz-Einlagen, allerdings ohne Gesang. Und doch macht am Schluss alles Sinn: Während die düsteren Genres mit Brutalität und einem fatalistischen Ton eine beklemmende Kälte erzeugen, wird dieser Eindruck immer wieder gebrochen – ja fast schon neutralisiert –, wenn die Jugend- und Liebesgeschichte ein passgenaues Gegengewicht abgibt.

Lellouche macht dabei keinen Hehl daraus, er weiß ganz genau um die eindrucksvollsten Kino-Geschichten aus den letzten Jahrzehnten. Mal wirkt Beating Hearts wie eine rauere 500 Days of Summer-Version, wenn die düstere Seite des Films dominiert. Mal wirkt er wie ein entstaubter Goodfellas, der ganz eigene Ideen beim Motiv der fatalistischen Gewaltspirale mitbringt. Einmal wie ein Werk Quentin Tarantinos, wenn in einer Szene zwischen den Zeilen die Rachsucht aus Pulp Fiction zitiert wird. Beinahe wie ein harmloserer Gaspar Noé, wenn in einem Club die Gewalt zuschlägt. Teilweise sogar wie ein unfreiwilliger Zurück in die Zukunft, wenn durch die Musik deutlich gemacht wird, dass es die Zeit Anfang der 80er ist, in der die Geschichte spielt. Gleichermaßen unbeschwert inszeniert, stimmen Inszenierung und Narrativ dabei überein. Es ist eine Zeit knapp nach den Trente Glorieuses, in der – so der filmische Eindruck – noch ein kurzes Zeitfenster unbekümmerter Zeit für die Jugend liegt.

Anbahnende Streiks, die den Vater des Jungen in Beschlag nehmen, sind dabei wohl als böse Drohgebärde einer ungewissen Zukunft zu deuten. Vermutlich steckt im ganzen Film noch sehr viel mehr zeitlicher Subtext, schaut man nur genau hin. Bei all diesen Andeutungen um eine beschleunigende und komplexer werdende Welt findet Lellouche aber glücklicherweise genug Gegenpole. Beating Hearts ist somit kein rein fatalistiches Sozialdrama, sondern ebenfalls wunderschönes Ästhetik-Kino, was durch den einmaligen Soundtrack perfekt abgerundet wird: Was die Pixies für Fight Club sind, ist The Cure wohl nun für Beating Hearts. Obgleich sich all das im ersten Moment nach sehr viel Durcheinander anhört, gelingt es dem Film dennoch, eine klare Richtung zu finden und die verschiedenen Elemente harmonisch zu verbinden. Und dabei lässt es sich Lellouche nicht nehmen, immer noch einen Schritt weiter zu gehen, immer noch intensiveres Kino zu kreieren. So zeigt sich Beating Hearts in seinen nonchalanten Momenten als eindrucksvoll, in seinen besten Momenten als cineastisch absolut hinreißend.

Statt über die Welt zu philosophieren, rückt er seine Figuren ganz in den Mittelpunkt. Es ist ihre Geschichte, über die Kälte und Distanz, die beide erleben und die Wärme wie Nähe, nach denen sie sich sehnen. Über ihren Status Quo der Liebe, bevor dieser schmerzhaft aufgelöst wird. Über den Nihilismus, der sich in ihnen fortan entwickelt und gegen den im Laufe der Geschichte immer wieder angekämpft wird. Schlussendlich über ihre Liebe, selbst wenn sie nicht beieinander sind und die mit der von anderen Leinwandpaaren nicht viel gemein hat. Beating Hearts ist damit kein Liebesfilm der alten Schule, der uns einmal wieder die Idee verkaufen möchte, dass es zwischen Mann und Frau schwierig aussieht und man dies doch bitte auch aus dem Kino so mitnehmen soll. Stattdessen ist es ein intelligenter, cineastisch herausragender Film – kein Kino auf Sparflamme, sondern eines, das das Herz höherschlagen lässt.

Kinostart: 27. März 2025
Regie: Gilles Lellouche
Darsteller: u.a. mit Adèle Exarchopoulos und François Civil
FSK-Freigabe: ab 16
Verleih: StudioCanal
Laufzeit: 2 St. 40 Min.

★★★★★★★☆

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