Die dunkle Seite des Mondes (DE, SUI, LUX 2015)
von Stephan Rick, u.a. mit Moritz Bleibtreu, Jürgen Prochnow und Nora von Waldsätten
Ein bisweilen kurioser Film, der sich einerseits angenehm vom Einheitsbrei des deutschen Kriminalkinos abhebt, auf der anderen Seite aber auch nicht an banalen Symbolen und klischierten Handlungselementen spart. Angenehm ist „Die dunkle Seite des Mondes“, weil er nie Interesse daran aufweist, zur verklärten Aussteigerphantasie heranzureifen, um auf die zivilisationskritische Kacke zu hauen. Urs (chargiert sich herrlich durch den Film: Moritz Bleibtreu) erlebt kein „Abenteuer Wildnis“, sondern trifft im Wald auf den Wolf in seiner Seele, der nur einen vorgetäuschten Stimulus, einen logischen Vorwand, gesucht hat, um als archaische Bestie aus seinen (eigentlich) domestizierten Urinstinkten herauszubrechen. Sicherlich gestaltet sich „Die dunkle Seite des Mondes“ als in gedämpften Farben gehaltener Thriller, der sich um den ganz großen Pharmaskandal schlängelt, als nicht selten fahrige Veranstaltung, aber Stephen Rick ist ein überaus begabter Handwerker und versteht so einiges von audiovisueller Suggestion: Wenn tieffrequentes Raunen und verzerrte Streicher über die Tonspur poltern, wird zuweilen ein sehr akkurates Gefühl dafür vermittelt, wie ausgeliefert Hauptfigur Urs seinem zweiten Gesicht doch ist. Einen derartigen Gewalttrip hat die deutsche Filmkultur jedenfalls schon lange nicht halluziniert. Nicht unter diesen Bedingungen. Beim nächsten Mal aber bitte einen Funken Mut, um so richtig freizudrehen.
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Spotlight (US 2015)
von Tom McCarthy, u.a. mit Michael Keaton, Rachel McAdams und Mark Ruffalo
Seit dem brillanten Watergate-Thriller „Die Unbestechlichen“ hat sich der filmische Umgang mit dem Arbeitszweig des investigativen Journalismus nicht mehr sonderlich weiterentwickelt. Jedenfalls dann nicht, wenn man als Filmemacher seinen Fokus streng auf die rein informale Ausbreitung jener Langzeitrecherche richtet. Das ist nun aber nicht unbedingt als schlecht zu bewerten, vor allem dann nicht, wenn man die „altmodische“ Inszenierung als funktionalen Gegenstand der Narration begreift – wie zum Beispiel „Spotlight“. Jedes Bild, jede Einstellung und jede Figur funktioniert hier einzig und allein im Kontext der beruflichen Passion (oder besser: Obsession). Der investigative Journalismus und seine zermürbende Langwierigkeit sind es, um die sich hier alles dreht. Es ist ein Film ÜBER die Arbeit. Und es ist ein Film FÜR die vierte Gewalt. Über das Durchforsten von Akten, über das Wälzen von Kirchenverzeichnissen, über das Inspizieren von verstaubten Kartons aus dem Archiv, über das Befragen von möglichen Zeugen – bis zum möglichen Sieg, der jedoch keine Helden hervorruft, sondern einen erfolgreichen Arbeitstag. „Spotlight“ ist ohnehin kein Film, dem sonderlich zum Feiern zumute ist (alles andere wäre auch reichlich daneben). McCarthy, der durchweg konzentriert arbeitet, hat viel eher ein soghaftes Werk inszeniert, das dem Berufsethos des Investigativjournalisten einen warmen Schulterdruck schenkt: Gut gemacht. Die Uhren jedoch bleiben nicht stehen. Und noch weniger lassen sie sich zurückdrehen. Die Arbeit ruft, auch morgen.
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Raum (CA, IRE 2015)
von Lee Abrahamson, u.a. mit Brie Larson, Jacob Tremblay und William H. Macy
7 Jahre lang auf 9 Quadratmetern gefangen. 5 Jahre davon zusammen mit ihrem Sohn. „Immerhin nicht allein“, ist man fast gewillt zu sagen. Und bereits während man diesen Gedanken formuliert, fühlt man sich schlecht und anstandslos. Was für ein Leben muss das sein, wenn sich die Welt auf einen mickrigen Radius von 9 Quadratmetern bemisst? Was bedeutet das für die Entwicklung eines Menschen, für seine sozialen Fähigkeiten, für seine Vorstellungskraft? Und weitergehend: Was bedeutet es, wenn sich die Welt von 9 Quadratmetern mit einem Lidschlag auf 510 Quadratkilometer potenziert? Wenn die Laube sich plötzlich zum Globus formiert? Lenny Abrahamson spricht diese Dinge an, weitergehend: Er macht diese Dinge in „Room“ erfahrbar, in dem er den 5-jährigen Jack auf eine herzzerreißende Entdeckungsreise schickt, die direkt in die Wirklichkeit führt und den Horizont sprengt, in dem er das – für uns – Alltägliche ertastet, erforscht, erkennt. „Room“ ist so unheimlich wuchtig in seiner Schönheit und seinem Schmerz, dass die einfache Erkenntnis, über die alleinige Entscheidungsmacht zu verfügen, welche Türen man öffnet und welche man schließt, wahrhaft ergreifend auf den Zuschauer einwirkt. Und Brie Larson? Die Frau ist ein Segen für die Schauspielwelt. Die Meisterschaft ihres Können liegt in ihrer aufopferungsvollen Natürlichkeit. Bravourös.
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The End of the Tour (US 2015)
von James Ponsoldt, u.a. mit Jesse Eisenberg, Jason Segel und Joan Cusack
Erfolg. Neid. Einsamkeit. Freundschaft. Ein Quasi-Road-Trip, verdichtet auf den Resonanzraum eines kammerspielartigen Zwei-Mann-Stücks. Rolling-Stone-Schreiber David Lipsky (Brillant: Jesse Eisenberg) und das Autorenphänomen David Foster Wallace (Stark: Jason Segal) treffen sich zum mehrtätigen Interview. Dabei verbringen sie zuvorderst Zeit miteinander, der „Job“ gerät in den Hintergrund und „The End of the Tour“ wächst heran zur menschlich-packenden Innen- wie Außenansicht beider Charaktere. Das, was sie wollen und das, was sie sind, steht im Zentrum. So, wie sie sich sehen und so, wie sie von anderen gesehen werden. Ihr individuelles Streben nach Glück und das Scheitern daran, minimalistisch inszeniert und ausschließlich dialogisch angetrieben. Was an „The End of the Tour“ nur stört, ist, dass man zu Anfang vom Suizid Wallace’ erfährt und der Film so eine Rückblende vollstreckt. Dadurch forciert James Ponsoldt einen dramaturgischen Bogen und als Zuschauer zwingt man sich durchgehend zur vermessenen Psychologisierung, um Anhaltspunkte für den Freitod des Schriftstellers zu entdecken. Das scheint der Intimität der Dialogfontäne zuweilen etwas abträglich, dennoch vermittelt „The End of the Tour“ einen starken Eindruck darüber, wie man damit umgeht, wenn man bemerkt, dass sich die Fixpunkte im eigenen Leben als falsch herausstellen.
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