Kritik: Jurassic Park (USA 1993) – Zum 30. von Spielbergs Klassiker

Jurassic Park Film 1993

Dr. Grant, my dear Dr. Sattler, welcome… to Jurassic Park.

Eine Gastkritik von Marc Trappendreher

Dass Steven Spielberg im amerikanischen Kino gleichermaßen als großer Blockbuster-Regisseur und Autorenfilmer wahrgenommen wurde, war spätestens 1993 augenscheinlich: Im selben Jahr fand er sowohl mit seinem eindringlichen Holocaust-Drama Schindlers Liste breiten Zuspruch, ebenso wie mit Jurassic Park – dem Dinosaurier-Film schlechthin, der prompt eine weltweite Begeisterung für die Urzeittiere auslöste. Wenn Jurassic Park aber neben seinen bahnbrechenden Errungenschaften als ein Meilenstein der digitalen Abbildung heute noch Bestand hat, dann auch weil Spielberg dieses groß angelegte spektakuläre Dino-Abenteuer konsequent in die Konstanz der eigenen Arbeit stellte, seinen Status als Filmautor selbst dort bekräftigend, wo man ihn oberflächlich von dem Regisseur von Jäger des verlorenen Schatzes (1981) nicht so sehr vermuten mag. Heute ist der Ruhm von Jurassic Park hinlänglich bekannt, ein mit mehr als 900 Millionen Dollar an weltweitem Einspielergebnis ungemein erfolgreicher Film, auch und nicht zuletzt durch sein aufwändiges Merchandise, das der Film im Übrigen ganz unverhohlen selbstreflexiv in Szene setzt.

Bereits der Roman von Michael Crichton war ein großer Bestseller auf dessen Popularität der Film setzen konnte: John Hammond (Richard Attenborough) ist der leicht größenwahnsinnige Millionär, der auf einer entlegenen Insel den ultimativen Freizeitpark geschaffen hat. Lebende Dinosaurier sollen da demnächst bestaunt werden, eine Errungenschaft der Wissenschaft. Mittels in Bernstein eingeschlossener und konservierter DNA-Stränge können Dinosaurier wieder zum Leben erweckt werden. Doch bevor die Tiere einem breiten Publikum vorgeführt werden können, soll da zuerst ein Expertenteam den Dinopark während einer Probefahrt begutachten. Diese zusammengewürfelte Gruppe besteht aus dem Paläontologen-Paar Alan Grant (Sam Neill) und Ellie Sattler (Laura Dern), einem Anwalt und dem ebenfalls etwas verschrobenen Chaostheoretiker Ian Malcolm (Jeff Goldblum). Zu ihnen treffen die beiden Enkelkinder Hammonds, die zur Besichtigung übers Wochenende ebenfalls an der Rundfahrt teilnehmen. Doch als ein verbitterter, profitgieriger Mitarbeiter des Parks kurzerhand das Sicherheitssystem des Geländes, inklusive die Schutzzäune, abschaltet, sind die Dinosaurier plötzlich auf freiem Fuß und der Schrecken nimmt seinen Lauf…

Jurassic Park als tricktechnische Errungenschaft

In der Geschichte der digitalen Abbildungen im Film ist Jurassic Park eine feste Größe: Als der langjährige Freund von Steven Spielberg, George Lucas, für seinen Krieg der Sterne (1977) seine eigene digitale Effektschmiede ILM – Industrial Light and Magic gründete, war der Siegeszug der computergenerierten Spezialeffekte im Kino unaufhaltsam. Jurassic Park wurde in tricktechnischer Hinsicht zur Innovation, der computergenerierte und praktische Effekte zusammenführte, ein Schritt, der dann zur Motion-Control-Animation in The Lord of the Rings (2001-2003) führte. Doch um das digitale Trugbild glaubhaft verkaufen zu können, setzt Spielberg sehr stark auf die richtige Balance aus Digitalbild und Animatronic – mehr aber noch, und das ist entscheidend, auf ein bekanntes Merkmal seiner Filmsprache, das er von John Ford übernommen hat: Das menschliche Gesicht. Unter dem Begriff des „Spielberg-face“ ist eine Reihe von Großaufnahmen zusammengefasst worden, die in ihren jeweiligen Einstellungsverknüpfungen überaus bedeutsam werden: Spielberg lässt sein Publikum zuerst im menschlichen Gesicht seiner Schauspieler die ihnen bekannten Gefühlsausdrücke ablesen, die auf das künstliche, digitale Erscheinungsbild der Dinosaurier projiziert werden.

Glauben durch Berührung

Der Sinneseindruck bleibt in Spielbergs Filmen jedoch nicht auf die Sicht reduziert. Gleich mehrere Szenen aus Jurassic Park suggerieren, dass für Spielberg der Glaube an die Wahrnehmung nur durch Berührung erfolgen kann, dass man da erst einmal alles anfassen muss, gleichsam bestätigt erst die haptische Wahrnehmung die Visuelle. Die Parkbesucher in Jurassic Park müssen die Dinosaurier mehrmals berühren, um glauben zu können, was sie da sehen. Dieses Motiv hat ohnehin im Kino von Steven Spielberg einen überaus hohen Stellenwert: Im Märchen Hook (1991) reicht die kindliche Perspektive der „Verlorenen Jungen“ nicht aus: Sie müssen Peter Banning (Robin Williams) erst die Brille abnehmen und sein Gesicht berühren, damit sie ihn wiedererkennen, ihn sehen. Erst wenn Peter am Esstisch anfängt, seine kindlich-verspielten Seiten zu entdecken, indem er nach den Speisen greift und damit um sich wirft, kann er plötzlich das Essen auf dem Tisch sehen, was ihm vorher verwehrt geblieben war. Man denke zudem nur an die berühmte Berührung der Fingerspitzen in E.T. – Der Außerirdische (1982) – ein Verweis auf Michelangelo. Der Glaube an die Wahrnehmung erfolgt durch Berührung.

Jurassic Park Laura Dern Sam Neill

Gerade dieser Umstand macht aus Jurassic Park denn auch so ein sinnliches Filmerlebnis, das das menschliche Sehempfinden sehr bewusst mitdenkt. Darin liegt der eigentliche Trick des Films, das Gesehene wird in der Berührung affirmiert. Somit kann Spielberg in der Folge das Filmerleben vertiefen und mit dem adrenalingeladenen Gefühlsrausch der Freizeitpark-Attraktionen kombinieren – nach deren Mustern ist letztlich die Filmhandlung konzipiert, ja liegt allein schon im dramaturgischen Muster der Rundfahrt begründet: Sehr dosiert zeigt uns Spielberg vorerst nur die harmloseren aber prachtvollen Tiere – die berühmt gewordene Filmmusik von John Williams hat mit seinen nahezu sakralen Klängen an diesem Effekt erheblichen Anteil – bevor er zur Filmhälfte dieses Moment des Erhabenen in die Gefilde des Monster- und Katastrophenfilms übergehen und mit Thriller-Elementen zu einem Erlebnis nervenkitzelnder Spannung werden lässt. Staunen und Schrecken liegen in Jurassic Park sehr nahe beieinander, ja sind unlöslich miteinander verknüpft.

Der Spielberg-Kosmos

Freilich sind die Spezialeffekte des Films nie Selbstzweck, sie sind vielmehr Funktionsträger in dem Gesamtgefüge des Spielberg-Kosmos. Neben seinen überzeugenden computeranimierten Effekten, die sehr sparsam eingesetzt wurden, wäre dieser Film nicht von Steven Spielberg, würde er nicht tief in die amerikanische Seele blicken lassen und die Ideologie der klassischen traditionellen amerikanischen Kernfamilie miteinbeziehen. Spielberg versteht sich immer noch gut darin, den Filmjournalismus zur Vermarktung seines eigenen Images zu benutzen – eine Strategie, die er von Alfred Hitchcock übernommen hat. In unzähligen Interviews wies der Filmemacher immer wieder mit Nachdruck auf den Umstand hin, dass er ein Scheidungskind ist, weshalb die Absenz einer Vaterfigur seinem Filmschaffen deutlich anzumerken ist. In der Folge machte Spielberg die Idee der amerikanischen Kernfamilie zu einem wichtigen Bestandteil seiner vision du monde und zu einem Ausdruck seiner Persönlichkeit – unmittelbar und unverhohlen sich selbst als großen, populären Filmautor vermarktend.

Der Schauwert von Jurassic Park liegt in seinen Urtieren, sie sind die Stars des Films, aber der eigentliche Held der Erzählung ist dieser Alan Grant, der Mann, der sich ganz der Paläontologie verschrieben hat, den Kinderwunsch seiner Partnerin Ellie Sattler teilt er nicht. Und daran lässt seine Charaktereinführung zu Beginn nun wirklich keinen Zweifel – der Mann mag gar keine Kinder. Ja, er ist selbst Saurier, mehr gefährlicher Velociraptor, mit dem er sich zu identifizieren scheint, als eine beschützende Vaterfigur. So muss Grant im Laufe der Filmhandlung allerlei Prüfungen bestehen, er ist, wie so viele der Spielberg-Figuren, der unfreiwillige Held, der seine Mission erst annehmen muss. Er wird zum Beschützer der beiden Enkelkinder Hammonds, deren Eltern sich, so erfahren wir eher beiläufig, in einem Scheidungsprozess befinden. Psychoanalytisch gelesen sind die Dinosaurier für Alan Grant mithin die äußerliche Gestaltwerdung der inneren Dämonen, die er zu überwinden hat, bevor er sich der Vaterschaftsfrage stellen kann.

Jurassic Park 1993 T-Rex

Der Film kombiniert freilich die Aspekte des Tierhorrors – ein Genre, das mit Hitchcocks Die Vögel (1963) zu Prominenz fand und Spielberg stark beeinflusste – mit universellen Fragestellungen menschlichen Zusammenlebens. Daraus bezieht Jurassic Park letztlich seinen allegorischen Subtext: Das auf Oberflächenreize ausgelegte Auftreten der Dinosaurier ist einem tieferen Sinnzusammenhang untergeordnet. Das Themenfeld rund um außer Kontrolle geratene Wissenschaftsexperimente, die Hybris des Menschen gegenüber der Natur, die gottgleiche Kontrolle, die mit dem teuflischen Chaosprinzip kollidiert – diese spannungsgeladene, inhaltliche Dualität übersetzt Spielberg in die Form, das ist ganz im Wortsinne Schwarz-Weiß-Malerei: John Hammond, der Schöpfer des Parks, trägt unentwegt Weiß; Ian Malcolm, der skeptische Chaostheoretiker, ist ganz in Schwarz gekleidet. Diese erzählerischen Elemente drängen letztlich auf die Frage der Verantwortung gegenüber neuen Lebens, das Jurassic Park ganz direkt in der Figurenkonstellation aus Alan Grant und Hammonds Enkelkindern verhandelt.

Darin liegt die Virtuosität der populären Erzählkunst Spielbergs: Er schafft einen ganz unbewusst zugänglichen zwischenmenschlichen Resonanzraum, der tiefgreifend seine Wirkung entfaltet – ein Umstand, den der Versuch des Franchise-Reboots mit der Jurassic World-Reihe so nicht umzusetzen wusste. So dürfte es denn auch kaum verwundern, dass die Faszination für Jurassic Park auch dreißig Jahre nach seinem Erscheinen ungebrochen ist.

Hat euch die Kritik gefallen? Dann unterstützt CinemaForever.net gerne, indem ihr bei eurer nächsten Bestellung über einer der folgenden Bildlinks geht.* Übrigens ist Jurassic Park aktuell im Angebot von Amazon Prime inkludiert. Hier* könnt ihr den Film streamen.

*Amazon Affiliate Links / Anzeige: Wenn Du über einen dieser Verweislinks etwas bestellst, bekommt CinemaForever auf Deinen Einkauf eine kleine Provision. Dies ändert nichts an Deinem Kaufpreis.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.